Inhalt
- Elternhaus, Familie
- Schule, Berufswahl
- Der Kathodenstrahloszillograph und
die kurze Spule
- Warum ich den Weg, ein
Elektronenmikroskop mit magnetischer
Elektronenlinse zu bauen, verfolgte
- Die Erfindung des
Elektronenmikroskops
- Wie es zur ersten
serienmäßigen Herstellung von
Elektronenmikroskopen kam
- Entwicklung der
Elektronenmikroskopie nach 1945
1. Elternhaus, Familie
Die Nobel-Stiftung hat mir vor einem Monat ihr
Jahrbuch von 1985 zugesandt. Aus ihm mußte ich
entnehmen, daß viele Nobel-Vorträge
regelrechte wissenschaftliche Vorträge sind -
gespickt mit Kurven, Tabellen und Zitaten. Es widerstrebt
mir ein bißchen, hier einen solchen Vortrag
über etwas zu halten, was heute in jedem besseren
Schulphysikbuch nachgelesen werden kann. Ich werde Ihnen
daher heute lieber etwas weniger von physikalischen und
technischen Einzelheiten und deren Zusammenhängen,
sondern statt dessen etwas mehr von den menschlichen
Erfahrungen - einigen Freuden und vielen
Enttäuschungen - berichten, die mir und meinen
späteren Mitarbeitern bis zum endgültigen
Durchbruch nicht erspart geblieben sind. Damit will ich
mich aber keinesfalls beklagen, sondern ich halte solche
Erlebnisse von Wissenschaftlern auf der Suche nach neuen
Wegen für absolut verständlich, ja fast
für normal. Selbstverständlich muß ich
bei einer solchen Darstellung auch auf den Einfluß
meiner Umwelt, insbesondere auch meiner Familie eingehen.
In ihr gab es schon einige Wissenschaftler: Mein Vater,
Julius
Ruska, war Historiker der Naturwissenschaften
in Heidelberg
und Berlin;
mein Onkel, Max Wolf,
Astronom in Heidelberg; dessen Assistent, ein
früherer Schüler meines Vaters und mein
Patenonkel, August Kopff,
Direktor des astronomischen Recheninstituts der damaligen
Friedrich-Wilhelm-Universität in
Berlin*; ein Vetter meiner Mutter,
Alfred Hoche, war Professor
für Psychiatrie in Freiburg/Breisgau; mein
Großvater mütterlicherseits, Adalbert
Merx, evangelischer
Theologe in Gießen und Heidelberg.
Meine damals in Heidelberg wohnenden
Eltern hatten sieben Kinder.
Ich war das fünfte, mein Bruder Helmut,
zu dem ich, soweit ich zurückdenken kann, ein
besonders enges, freundschaftliches Verhältnis
hatte, das sechste Kind. Optische Geräte haben auf
uns beide früh einen tiefen Eindruck gemacht. Einige
Male zeigte Onkel Max uns Kindern die Fernrohre der von
ihm geleiteten Sternwarte auf dem Königstuhl bei
Heidelberg. Auch mit dem Lichtmikroskop verbanden uns
bald eindrucksvolle, wenn auch widersprüchliche
Beziehungen. Mein Vater hatte im zweiten Stockwerk
unseres Hauses zwei durch eine meist offenstehende, sehr
breite Schiebetür verbundene Studierzimmer, eines
für seine wissenschaftshistorischen altsprachlichen
Studien und eines für seine naturwissenschaftlichen
Interessen, insbesondere Mineralogie, Botanik und
Zoologie. Wenn ihm unsere Spiele mit den Nachbarskindern
auf der Straße vor dem Haus zu laut waren, klopfte
er an seine Fensterscheiben. Da dies meist nur eine
kurzzeitige Wirkung hatte klopfte er bald ein zweites Mal
merklich lauter. Beim dritten Mal mußten Helmut und
ich in sein Zimmer kommen und in zwei Meter Abstand von
seinem Schreibtisch auf einem niedrigen Holzhocker
Rücken an Rücken bis zu einer Stunde lang
stillsitzen. Dabei sahen wir auf dem Tisch des
Nebenzimmers einen schönen, hellgelben Holzkasten,
in dem sich sein großes Zeiss-Mikroskop
befand, das auch nur zu berühren uns streng verboten
war. Zwar zeigte er selbst uns öfters manches
Interessante unter dem Mikroskop, doch fürchtete er
mit Recht, daß Kinderhände durch
unvorsichtigen Umgang mit Grob- und Feintrieb das
Objektiv oder das Präparat verderben würden.
Unsere ersten Beziehungen zum Wert der Mikroskopie waren
also nicht nur positiv.
2. Schule, Berufswahl
Sehr viel positiver waren einige Jahre später der
sehr gute Biologieunterricht meines Bruders Helmut an der
Oberrealschule bei seinem Lehrer
Adolf Leiber und der
ebenfalls gute Physikunterricht, den ich am
humanistischen Gymnasium durch meinen Lehrer
Karl Reinig erhielt. Einen
eindrucksvollen Bericht von dessen Persönlichkeit
las ich übrigens vor kurzem zu meiner großen
Freude in den Memoiren eines zwei Jahre älteren
Schülers meiner Schule, des späteren
theoretischen Physikers Walter
Elsasser. Noch heute erinnere ich mich des tiefen
Eindrucks, den Reinigs Ausführungen auf mich
machten, daß die Bewegungen von Elektronen im
elektrostatischen Kraftfeld nach den gleichen einfachen
Gesetzen erfolgen wie die Bewegungen von trägen
Massen in Gravitationsfeldern. Auch die durch die
Wellenlänge des Lichts bedingte Grenze der
mikroskopischen Auflösung versuchte er uns
klarzumachen. Verstanden habe ich das damals sicher noch
nicht, denn ich hatte bald darauf bei einem unserer
vielen Waldspaziergänge in Heidelbergs Umgebung eine
lange Diskussion darüber mit meinem damals schon zur
Medizin tendierenden Bruder Helmut und meinem
Klassenfreund Karl Deissler,
der später ebenfalls Medizin studierte.
Im Gymnasium hatten wir zeitweise bis zu 17
Wochenstunden Unterricht in Latein, Griechisch und
Französisch. Im Gegensatz zu meinem
ungewöhnlich sprachbegabten Vater zeigte ich auf
diesem Sektor nur äußerst mäßige
Leistungen. Mein Vater, der als Lehrer auf der gleichen
Schule täglich von seinen Kollegen von meinen
Minus-Leistungen erfuhr, war geneigt, dafür meinen
mangelnden Fleiß verantwortlich zu machen, so
daß ich einige kummervolle Schuljahre hatte. Mein
damaliger Griechischlehrer, ein Studienfreund meines
Vaters, sah die Dinge realistischer. Er schenkte mir zur
Konfirmation das Buch "Hinter Pflug und Schraubstock" des
schwäbischen Poeten-Ingenieurs Max
Eyth (1836-1906). Ich war immer schon von
technischen Fortschritten begeistert, besonders
interessierte ich mich später auch für die
Entwicklung der Luftfahrt sowie den Bau von Luftschiffen
und Flugzeugen. Das für einen jungen Menschen so
eindrucksvolle Buch von Max Eyth veranlaßte mich
dann endgültig zum Ingenieurstudium. Mein Vater, der
Naturwissenschaften an den Universitäten
Strassburg, Berlin
und Heidelberg
studiert hatte, hielt das Studium an einer Technischen
Hochschule offenbar für nicht ganz vollwertig und
bot mir zur Probe ein Physiksemester auf einer
Universität an. Ich hatte aber das deutliche
Empfinden, daß mir der Bereich der Technik mehr
zusagte als der der Physik und lehnte ab.
3. Der Kathodenstrahloszillograph und
die kurze Spule
Nach zwei Jahren Studium der Elektrotechnik in
München wurde mein Vater 1927 zur Leitung eines neu
zu errichtenden Instituts für
Geschichte der Naturwissenschaften** von Heidelberg
nach Berlin berufen. So kam auch ich nach Absolvierung
meines Vorexamens in München für die zweite
Hälfte meines Studiums nach Berlin. Dort
spezialisierte ich mich für Hochspannungstechnik und
elektrische Anlagen und hörte hierzu u. a. die
Vorlesungen von Professor Adolf
Matthias. Er berichtete uns am Ende seiner
Vorlesung des Sommersemesters 1928 von seinem Plan, eine
kleine Arbeitsgruppe zusammenzustellen, die aus der
Braun´schen Röhre einen leistungsfähigen
Kathodenstrahloszillographen zur Messung von sehr schnell
verlaufenden elektrischen Vorgängen in Kraftwerken
und auf Hochspannungs-Freileitungen entwickeln sollte.
Vielleicht mit der Erinnerung an meinen Physikunterricht
in der Schule im Hinterkopf meldete ich mich sofort und
wurde so der jüngste Mitarbeiter dieser von Dr.-Ing.
Max
Knoll geleiteten Gruppe. Meine ersten
Gehversuche zum experimentellen Arbeiten habe ich in dem
von Prof. Jonathan Zenneck
geleiteten Physikalischen Praktikum an der Technischen
Hochschule München und später in der Gruppe von
Max Knoll gemacht. Als Neuling wurde ich von Knoll
zunächst mit einigen fast immer auftretenden
vakuumtechnischen Problemen beschäftigt.
Durch die Persönlichkeit von Max Knoll wurde in
der Gruppe ein kameradschaftliches Verhältnis
gefördert, und in der nachmittäglichen
gemeinsamen Kaffeestunde war eine offene Unterhaltung
über die wissenschaftlichen und technischen Probleme
der Arbeiten jedes Einzelnen üblich. Da ich nicht
ungern rechnete und unser gemeinsames Ziel die
Entwicklung von Kathodenstrahloszillographen für
eine gewünschte Meßleistung war, wollte ich in
meiner zur Zulassung für die
Diplom-Hauptprüfung vorgeschriebenen
"Studienarbeit"
eine geeignete Berechnungsmethode zur Dimensionierung
solcher Kathodenstrahloszillographen ausarbeiten.
Die wichtigsten Einflußgrößen
für Meßgenauigkeit und Schreibgeschwindigkeit
von Kathodenstrahloszillographen sind der Durchmesser des
Schreibflecks und dessen Energiedichte. Zur Erzeugung
kleiner und heller Schreibflecke mußten die
divergent von der Kathode ausgehenden Elektronenstrahlen
wieder in einem kleinen Schreibfleck auf dem Leuchtschirm
des Kathodenstrahloszillographen vereinigt werden. Hierzu
war bereits von Rankin
[1]
eine auch vorher schon von früheren Experimentatoren
bei Versuchen mit Glimm- bzw. Kathoden- bzw.
Elektronenstrahlen benutzte kurze, von Gleichstrom
durchflossene Spule verwendet worden. Schon 1869 hatte
Hittorf [2]
das drehsymmetrisch vor einem zylindrischen Magnetpol
befindliche Feld zur Fokussierung von Kathodenstrahlen
benutzt. Die Vorstellung von der Wirkung des
axialsymmetrischen, also inhomogenen Magnetfelds solcher
Pole oder Spulen auf das längs ihrer Achse
verlaufende Elektronenbündel war indessen lange
recht unklar geblieben.
Deshalb hatte 1927 Hans
Busch [3]
in Jena
die Bahnen der Elektronen in einem solchen
Elektronenbündel berechnet und dabei gefunden,
daß das Magnetfeld der kurzen Spule auf das
Elektronenbündel wie eine Lichtlinse mit einer
definierten Brennweite auf Lichtbündel einwirkt. Die
Brennweite dieser "magnetischen Elektronenlinse"
läßt sich dabei mittels des Spulenstroms
kontinuierlich verändern. Busch wollte seine Theorie
im Experiment prüfen, konnte damals jedoch aus
zeitlichen Gründen keine neuen Versuchsreihen
durchführen, sondern griff auf Aufzeichnungen von
Versuchen zurück, die er 16 Jahre zuvor in
Göttingen gemacht hatte. Diese ergaben jedoch nur
eine äußerst unbefriedigende
Übereinstimmung des durch die Theorie geforderten
Abbildungsmaßstabes mit dem Experiment. Vielleicht
war das der Grund, warum Busch aus seiner Linsentheorie
des axialsymmetrischen Magnetfelds nicht wenigstens die
praktische Folgerung gezogen hat, mit einer solchen Spule
irgend etwas abzubilden.
Um die durch eine kurze Spule erzeugbaren
Eigenschaften des Schreibflecks eines
Kathodenstrahloszillographen genauer in meine
Dimensionierungsrechnungen einbeziehen zu können,
prüfte ich mit einer einfachen Anordnung (Abb.1)
die Linsentheorie von Busch unter besseren, aber immer
noch nicht genügend guten experimentellen
Bedingungen nach und fand dadurch zwar bessere, aber
immer noch nicht sehr befriedigende Übereinstimmung
des
|
Abbildungsmaßstabs mit Buschs
theoretischen Erwartungen. Der Hauptgrund lag
darin, daß ich eine Spule mit den
Abmessungen der von Busch benutzten Spule
verwendet hatte, deren Feldverteilung längs
der Achse für Buschs und meine Versuche
viel zu breit war. Meine 1929 der Fakultät
für Elektrotechnik eingereichte
Studienarbeit [5]
enthält zahlreiche mittels der kurzen Spule
("magnetische Elektronenlinse") aufgenommene
verschieden stark vergrößerte,
scharfe
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Abb. 1: Eine 1929 vom
Verfasser angefertigte Skizze der
Elektronenstrahlröhre zur Prüfung der
Abbildungseigenschaften des inhomogenen
Magnetfelds einer kurzen Spule [4,
5].
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Bilder einer elektronendurchstrahlten
Anodenblende von 0,3 mm Durchmesser, also die
ersten festgehaltenen elektronenoptischen
Abbildungen.
|
Aus der von Busch gefundenen Formel für die
Brennweite des Magnetfeldes einer kurzen Spule war schon
ersichtlich, daß man eine gewünschte
Brennweite mit um so weniger Ampere-Windungen der Spule
erzeugen kann, je mehr man das Spulenfeld auf einen
kurzen Bereich der Achse beschränkt, weil sich dann
das Feldmaximum erhöht. Für einen
Elektrotechniker oder auch Physiker war daher der von mir
damals gemachte Vorschlag naheliegend, die Stromspule mit
einem Eisenmantel zu umgeben, der nur im Innenrohr durch
einen ringförmigen Spalt unterbrochen ist. Messungen
an einer solchen Spule zeigten dann auch, daß
dieselbe Brennweite mit deutlich weniger Ampere-Windungen
erreicht wurden [4,
5]. Im
Umkehrschluß erreicht man auf diese Weise
natürlich auch bei gleicher Ampere-Windungszahl eine
kürzere Brennweite.
4. Warum ich den Weg, ein
Elektronenmikroskop mit magnetischer Elektronenlinse zu
bauen, verfolgte
In meiner 1930 durchgeführten Diplomarbeit
sollte ich nach einem elektrostatischen Ersatz für
die magnetische Konzentration des divergenten
Elektronenstrahlbündels suchen, weil ein solcher
vielleicht einfacher und billiger sein würde. Knoll
empfahl mir hierzu eine von ihm ein Jahr zuvor zum Patent
[6]
angemeldete Anordnung von Lochelektroden mit
verschiedenen elektrischen Potentialen experimentell
auszuprobieren. Wir diskutierten die Form des
elektrischen Feldes zwischen diesen Elektroden, und ich
vertrat die Ansicht, daß wegen der
spiegelbildlichen Symmetrie zur Linsenmitte eine
konzentrierende Wirkung der gewölbten
Äquipotentialflächen im Lochbereich nicht
eintreten könne. Ich hatte damals nur die
Feldgeometrie im Auge. Dabei hatte ich jedoch
übersehen, daß mein Schluß wegen der
stark unterschiedlichen Geschwindigkeit der Elektronen
beim Durchlaufen einer solchen Feldanordnung falsch war
und durchaus eine Konzentration des divergenten
Elektronenbündels eintreten mußte. Auch Knoll
bemerkte diesen Fehlschluß damals nicht. Daher
beschritt ich in meiner Diplomarbeit [7]
einen anderen Weg. Ich ließ das
Elektronenbündel einen durchbohrten Kugelkondensator
durchlaufen bei dem die Bohrung in der Innenkugel auf
beiden Seiten von feinmaschigen Drahtnetzen in der Form
der Kugelfläche abgedeckt war. Mit dieser Anordnung
erhielt ich seitenverkehrte Bilder im richtigen
Abbildungsmaßstab.
Etwas später kam ich auf eine leider nur
theoretisch richtige Lösung. Ich wollte die Brechung
der Lichtstrahlen beim Durchqueren optischer Linsen an
den "Grenzflächen" zwischen Luft und Glas für
elektrische Linsen durch Potentialsprünge an
entsprechenden, d. h. wie bei Glaslinsen geformten
"Grenzflächen" ersetzen [8].
Dadurch wird die Energie der Elektronenstrahlen beim
Durchqueren dieser Linsen - ebenso wie die der
Lichtstrahlen beim Durchqueren optischer Linsen -
vorübergehend geändert. Zur Realisierung dieses
Gedankens sind auf jeder Linsenseite zwei eng benachbarte
feinmaschige Drahtnetze von der Oberflächenform
optischer Linsen erforderlich, die auf voneinander
verschiedenen elektrischen Potentialen gehalten werden
müssen. Vorversuche zeigten die Richtigkeit dieser
Idee, aber zugleich auch die praktische Unbrauchbarkeit
solcher Netzlinsen wegen zu starker Absorption des
Elektronenstrahls an den vier hintereinander liegenden
Drahtnetzen und wegen der Feldverzerrung an deren
Drähten.
Infolge meines geschilderten Denkfehlers und aus der
experimentellen Enttäuschung heraus beschloß
ich, mich weiterhin lieber mit der magnetischen Linse zu
befassen. Ich berichte das nur deshalb so
ausführlich, weil man daraus sieht, daß man
auch gelegentlich Glück haben kann, ohne
überlegene Geisteskräfte auf einen besseren
oder gar auf den allein richtigen Weg zu bekommen. Der
Weg des Durchstrahlungs-Elektronenmikroskops mit
Elektronenlinsen aus elektrostatischen Lochelektroden ist
später von anderer Seite durch hervorragende
Experimentatoren verfolgt worden und führte zu
beträchtlichen Anfangserfolgen. Schließlich
mußte er aber aufgegeben werden, weil diese Linse
aus physikalischen Gründen der magnetischen
Elektronenlinse unterlegen war.
5. Die Erfindung des
Elektronenmikroskops
Die wirtschaftlichen Verhältnisse nach
Abschluß meines Studiums zum Diplom-Ingenieur
(Anfang 1931) waren in Deutschland so schlecht, daß
es kaum möglich erschien, in der Industrie oder an
einer Hochschule eine befriedigende Anstellung zu
erhalten. Ich mußte deshalb froh sein, daß
ich meine unbezahlte Tätigkeit als Doktorand im
Hochspannungsinstitut fortsetzen konnte. Nachdem ich
schon in meiner Studienarbeit von 1929 gezeigt hatte,
daß man mit der kurzen Spule scharfe und auch
vergrößerte Bilder von
elektronendurchstrahlten Lochblenden erhalten kann,
interessierte mich die nächstliegende Frage, ob man
solche Bilder, wie in der Lichtoptik, durch eine
dahintergeschaltete, zweite Abbildungsstufe weiter
vergrößern könne. Eine entsprechende
Apparatur mit zwei kurzen Spulen war aus meinen
bisherigen Apparaturen schnell hergestellt (Abb.
2), und im April 1931 erhielt ich den einwandfreien
Beweis, daß dies wie in der Optik möglich war
(Abb. 3). Die damals benutzte Apparatur
gilt heute mit Recht als erstes Elektronenmikroskop, wenn
auch die Gesamtvergrößerung mit etwa 3,6 x 4,8
= 17,4 noch äußerst bescheiden war.
|
|
Abb. 2: Eine am 9. Mai
1931 vom Verfasser angefertigte Skizze der
Elektronenstrahlröhre zur Prüfung der
ein- und zweistufigen Abbildung mittels zweier
magnetischer Elektronenlinsen
(Elektronenmikroskop) [8].
|
- Abb. 3: Erster
Beweis, daß mit Elektronen bestrahlte
Objekte (Netze) nicht nur in einer Stufe,
sondern auch in mehr als einer Stufe mittels
(magnetischer) Elektronenlinsen
vergrößert werden können
(U=50 kV) [8].
- a) Einstufiges Bild des
Platinnetzes vor der Spule 1 durch Spule 1;
Mel=13:1.
- b) Einstufiges Bild des
Bronzenetzes vor der Spule 2 durch Spule 2;
Mel=4,8:1.
- c) Zweistufiges Bild des
Platinnetzes vor der Spule 1 durch Spule 1
und 2; Mel=17,4 : 1 zusammen mit
dem einstufigen Bild des Bronzenetzes vor der
Spule 2 durch Spule 2;
Mel=4,8:1.
- kk - kalte Kathode; Pt N
- Platinnetz; Sp 1 - Spule 1; Br N -
Bronzenetz; Sp 2 - Spule 2; LS -
fluoreszierender Schirm.
|
Der erste Nachweis, daß man außer mit
Licht und Glaslinsen auch mit Elektronenstrahlen und
Magnetfeldern Abbildungen durchstrahlter Objekte, zudem
in mehr als einer Abbildungsstufe machen kann, war zwar
nun geführt, aber was nutzte eine solche Abbildung,
wenn selbst Platin- oder Molybdännetze bei einer
für nur 17fache Vergrößerung
erforderlichen Bestrahlungsdichte so heiß wurden,
daß sie schmolzen. So vermied Max Knoll Anfang Juni
1931 in seinem Vortrag über Fortschritte beim Bau
von Kathodenstrahloszillographen, in dem er auch meine
elektronenoptischen Versuche erstmals ausführlich
erläuterte [9,
10], mit meinem
Einverständnis noch das Wort Elektronenmikroskop,
weil wir beide damals den Eindruck der Effekthascherei
scheuten. Trotzdem schweiften unsere Gedanken
natürlich in Richtung einer leistungsstärkeren
Mikroskopie. Die vor über fünfzig Jahren von
E.
Abbe und anderen erkannte, durch die
Lichtwellenlänge gegebene Auflösungsgrenze des
Lichtmikroskops konnte, da Licht nicht verwendet wurde,
bei solchen Vergrößerungen keine Rolle
spielen. Knoll und ich hofften zunächst einfach auf
die äußerst geringen Abmessungen der
Elektronen. Daß bereits einige Jahre vorher von dem
Franzosen de
Broglie [11]
die These der Materiewellen aufgestellt worden war,
wußten wir als Ingenieure damals noch nicht. Auch
von Physikern sind diese Thesen ja ebenfalls nur
zögernd angenommen worden. Als ich im Sommer 1931
erstmals von dieser neuen These hörte, war ich sehr
enttäuscht, daß nun auch beim
Elektronenmikroskop die Auflösung wiederum durch
eine Wellenlänge (der Materiestrahlung) begrenzt
sein könnte. Ich war aber sofort wieder
getröstet, als sich die neue Wellenlänge nach
den Angaben von de Broglie als 105fach
kürzer als die Lichtwellenlänge erwies. Das war
also kein Grund mehr, das Ziel einer besser als das
Lichtmikroskop auflösenden Elektronenmikroskopie
aufzugeben.
Daher wagten Knoll und ich 1932 auch eine Prognose der
Auflösungsgrenze des Elektronenmikroskops [12].
Wir ersetzten in der Erwartung, daß die auf der
Beugungstheorie der mikroskopischen Abbildung berechnete
Gleichung für die Grenzauflösung des
Lichtmikroskops auch für die Materiewelle der
Elektronen Gültigkeit habe, die
Lichtwellenlänge durch die
Elektronenwellenlänge bei der von uns angewandten
Beschleunigungsspannung von 75000 V und setzten in die
Gleichung die von uns damals benutzte Abbildungsapertur
von 2 x 10-2 ein. Diese Abbildungsapertur wird
auch heute noch benutzt. Dadurch kamen wir schon zu
diesem frühen Zeitpunkt auf eine Grenzauflösung
von 2,2 Å = 2,2 x 10-10m, ein Wert, der
etwa 40 Jahre später experimentell erreicht wurde.
Eine solche Aussicht wurde damals natürlich von den
meisten Fachgenossen allenfalls als eine Illusion
empfunden, keinesfalls aber ernstgenommen. Auch mir
schienen seinerzeit die noch zu lösenden Probleme,
darunter vor allem die Vermeidung der Objekterhitzung,
nur sehr schwer bewältigbar zu sein. M. Knoll hatte
schon im April 1932 bei Telefunken (Berlin) Aufgaben in
der Entwicklung der Fernsehtechnik übernommen.
Mein Bruder Helmut,
der damals vor dem Abschluß seines Medizinstudiums
stand, hielt im Gegensatz zu vielen Biologen und
Medizinern bei einem Erfolg auf diesem Weg sehr
entscheidende Fortschritte in diesen Fächern
für sicher. Er ermutigte mich mit seiner Zuversicht,
die zu erwartenden Schwierigkeiten zu überwinden.
Als nächstes mußte ich zeigen, daß man
genügend hohe Vergrößerungen machen
konnte, um eine bessere Auflösung als die des
Lichtmikroskops beweisen zu können Dazu war eine
Spulenform zu entwickeln, deren Magnetfeld auf ein so
kurzes Stück der Spulenachse zusammengedrängt
ist, daß kurze Brennweiten möglich werden, wie
sie für starkvergrößerte Bilder der
Objekte in nicht zu großem Abstand hinter der Spule
erforderlich sind. Die technische Lösung dafür
hatte ich schon in meiner Studienarbeit von 1929 mit der
Eisenkapselung angegeben. 1932 meldete ich zusammen mit
meinem Kondoktoranden Bodo
v. Borries, mit dem ich mich angefreundet
hatte, eine Optimierung dieser Lösung zum Patent
[13]
an, die heute in allen magnetischen Elektronenmikroskopen
verwendete "Polschuhlinse". Ihre Realisierung sowie die
Ausmessung der mit ihr verifizierbaren Brennweiten war
das Thema meiner Doktorarbeit [14].
Sie war im August 1933 beendet, und ich konnte bei den
Messungen Brennweiten von 3 mm für
Elektronenstrahlen von 75000 V Beschleunigungsspannung
erreichen (Abb. 4).
|
|
Abb. 4: Querschnitt
durch die erste Polschuhlinse
[14,
15].
|
Abb. 5: Erstes
(zweistufiges) Elektronenmikroskop mit
höher als lichtmikroskopischer Vergr
ößerung. Querschnitt durch die
Mikroskopsäule [15].
(Rekonstruktionszeichnung
1976)
|
Natürlich wollte ich nun sofort mit diesen Linsen
ein zweites, wesentlich höher
vergrößerndes Elektronenmikroskop bauen. Durch
Fürsprache von Max
von Laue erhielt ich dazu für die zweite
Jahreshälfte 1933 von der Notgemeinschaft der
Deutschen Wissenschaft 100 Reichsmark pro Monat für
persönliche und sachliche Ausgaben. Da ich schon im
November mit dem Bau, der Inbetriebnahme und der
Erprobung des neuen Geräts (Abb. 5)
fertig war, wollte ich die 100 Reichsmark für
Dezember zurückzahlen, durfte sie aber zu meiner
Freude "ausnahmsweise" behalten. Es dürfte trotzdem
sicherlich der geringste Betrag gewesen sein, den je eine
deutsche Organisation zur Wissenschaftsförderung
für ein Elektronenmikroskop bezahlt hat.
Aus den nachfolgend erörterten Gründen hatte
ich zum 1. Dezember 1933 eine Stellung in der Industrie
angenommen. Daher konnte ich mit diesem bis zu 12000 : 1
vergrößernden Gerät nur noch wenige
Aufnahmen machen. Dabei bemerkte ich aber
glücklicherweise einen entscheidenden Umstand, der
mich für die Zukunft hoffen ließ. Auch sehr
dünne Objekte ergaben noch hinreichende Kontraste,
jedoch nicht mehr durch Absorption, sondern allein durch
Streuung der Elektronen, wobei die Objekte bekanntlich
wesentlich weniger aufgeheizt werden.
6. Wie es zur ersten
serienmäßigen Herstellung von
Elektronenmikroskopen kam
Mir war aber auch klargeworden, daß eine
Weiterentwicklung zu einem praktisch brauchbaren
Seriengerät mit wesentlich besserer Auflösung
als der des Lichtmikroskops längere Zeit dauern und
große Kosten verursachen würde und daß
vorläufig wenig Hoffnung bestand, angesichts der
bisher erreichten Ergebnisse von irgendeiner Seite
finanzielle Hilfe zu erhalten. Ich machte mich auf eine
längere Durststrecke gefaßt und
beschloß, das Ziel, die Entwicklung eines
Seriengeräts gemeinsam mit Bodo von Borries und
meinem Bruder Helmut anzusteuern. Ich nahm daher eine mir
angebotene Stellung bei der Fernseh-AG in
Berlin-Zehlendorf an, in der ich mich dann drei Jahre
lang mit der Entwicklung von Braunschen Röhren zum
Bildempfang und von Bildsenderöhren
beschäftigte. Um unsere Bemühungen um
finanzielle Mittel für den Bau
serienmäßiger Elektronenmikroskope besser
koordinieren zu können, überzeugte ich von
Borries davon, seine im April 1933 angetretene Stellung
bei den Rheinisch-Westfälischen
Elektrizitätswerken in Essen
aufzugeben und nach Berlin zu kommen, wo er 1934 bei
Siemens-Schuckert eine Anstellung fand. Wir bemühten
uns bei vielen staatlichen und industriellen
Forschungseinrichtungen um die Finanzierung einer
Entwicklung von Seriengeräten [16].
Während dieser Zeit erschienen erste
elektronenmikroskopisch vergrößerte Bilder von
biologischen Objekten. An dem von mir 1933 gebauten
zweiten Gerät arbeiteten die damaligen Studenten
Heinz Otto Müller
(Elektrotechniker) und Friedrich
Krause (Mediziner) und veröffentlichten immer
bessere Ergebnisse (Abb. 6-9).
|
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- Abb. 6:
Flügelhaut der Hausfliege. (erste
Innenaufnahme; U=60 kV,
Mel=2200:1)
- (Driest, E. und
Müller, H. O.: Z.Wiss. Mikroskopie 52,
53-57 [1935])
|
- Abb. 7: Diatomeae
Amphipleura pellucida".
- (U=53 kV, Mel
=3500:1; ¶"=130nm)
- (F. Krause in: Busch, H.,
und Brüche, E.: Beiträge zur
Elektronenoptik, 55-61, Verl. Hoh. Ambrosius
Barth, Leipzig 1937)
|
- Abb. 8: Bakterien
(Heuaufguß), mit Formalin fixiert in
ein mit Schwermetallsalzen "gefärbtes"
Trägerhäutchen
eingebettet.
- (U=73.5 kV, Mel
=2000:1)
- (Krause, F.:
Naturwissenschaften 25, 817-825
[1937])
|
- Abb. 9:
Kolloidaler Eisenfaden
- (U=79 kV, Mel
=3100:1)
(Beischer, D. und Krause, F.:
Naturwissenschaften 25, 825-829
[1937])
|
Leider haben diese beiden begabten jungen
Wissenschaftler das Kriegsende 1945 nicht überlebt.
An der Universität Brüssel hatte
Ladislaus Marton 1933 ein
erstes - waagerecht liegendes - relativ gering
vergrößerndes magnetisches Mikroskop gebaut
[17]
und erste Versuche mit der Abbildung einiger biologischer
Objekte gemacht. 1936 hatte er sein zweites, nun wieder
senkrecht stehendes Gerät gebaut [18].
Trotz dieser neueren Veröffentlichungen hatten
wir mit unseren Bemühungen um finanzielle
Unterstützung aber erst nach drei Jahren Erfolg;
Ursache war ein Gutachten von Helmut Ruskas "klinischem"
Lehrer, Prof. Dr. Richard
Siebeck, der damals Direktor der 1. Medizinischen
Universitätsklinik der Berliner Charite war. Ich
zitiere die beiden vorletzten Absätze dieses
Gutachtens vom 2. Oktober 1936 [19]:
"Nach diesen Ausführungen braucht kaum
betont zu werden, daß Fortschritte auf dem
Gebiete der Erregerforschung für den Arzt von
unmittelbar eingreifendem praktischen Interesse sind
und daß sie durchaus aktuelle Fragen
berühren. Es handelt sich großenteils um
Erkrankungen von wachsender klinischer Bedeutung und
somit von größter Wichtigkeit für die
Volksgesundheit.
Sollten sich die Möglichkeiten der
mikroskopischen Auflösung über die
angenommene Größe etwa bis zum 100fachen
steigern, so sind die wissenschaftlichen Folgen gar
nicht abzusehen. Was bis jetzt erreichbar scheint,
halte ich für so bedeutsam, und Erfolge scheinen
mir so nahe zu liegen, daß ich gerne bereit bin,
in medizinischen Forschungsarbeiten zu beraten und
durch Verfügungsteilung der Hilfsmittel meines
Instituts mitzuarbeiten."
Dieses Gutachten beeindruckte die Firmen Siemens in
Berlin und Carl Zeiss in Jena, so daß sie sich
bereit erklärten, die Entwicklung von
serienmäßigen Elektronenmikroskopen mit
entsprechenden Mitteln aufzunehmen. Wir schlugen vor,
eine gemeinsame Entwicklungsstelle einzurichten, um die
elektrotechnischen und feinmechanischen Qualitäten
beider Firmen ausschöpfen zu können. Leider
lehnten diese einen solchen Weg ab, und wir entschieden
uns darauf für Siemens. Als ersten Mitarbeiter
für die praktische Entwicklung gewannen wir
Heinz Otto Müller, als
auswärtigen Mitarbeiter den Theoretiker
Walter Glaser in Prag.
Unsere in Berlin-Spandau 1937 aufgenommene Arbeit
führte 1938 zur Fertigstellung von zwei
Versuchsmustern mit Kondensor und Polschuhlinsen für
Objektiv und Projektiv sowie Vakuumschleusen für
Objekte und Photoplatten bei 30000facher
Vergrößerung [20].
Das eine dieser Geräte wurde sofort für erste
biologische Untersuchungen von Helmut Ruska und seinen
medizinischen Mitarbeitern benutzt (H. Ruska war von
Prof. Siebeck für diese Tätigkeit bei Siemens
freigestellt worden). Leider kann ich aus
Zeitgründen hier keinen Überblick über
diese fruchtbare Veröffentlichungsperiode geben.
1940 richtete Siemens auf unseren Vorschlag ein von H.
Ruska betreutes Gastlaboratorium mit vier
Elektronenmikroskopen für auswärtige
Mitarbeiter ein, das im Herbst 1944 bei einem Luftangriff
zerstört wurde. 1940 konnte Helmut Ruska die ersten
Aufnahmen von Bakteriophagen zeigen. Eine etwas
spätere Aufnahme (Abb. 10) zeigt
deutlich die Gestalt dieser winzigen Feinde von
Bakterien.
|
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- Abb. 10:
Bakteriophagen. Auftragung aus einer mit
Lysat versetzten Aufschwemmung von
Ruhrbakterien. Mel
=10.000:1)
- (Ruska, H.:
Naturwissenschaften 29, 367-368 (1941) und
Arch. Ges. Virusforsch. 2, 345-387
(1942).)
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Abb. 11: Erstes von
Siemens serienmäßig hergestelltes
Elektronenmikroskop [21].
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Sehr langsam wuchs nun das Interesse an der
Elektronenmikroskopie. Einen ersten Verkaufserfolg
für Siemens gab es, als die damals in Deutschland
noch weitgehend durch die IG-Farbenindustrie
repräsentierte chemische Industrie 1938 für
ihre Werke in Hoechst, Leverkusen, Bitterfeld und Wolfen
je eines der damals erst geplanten, aber noch nicht
konstruierten, geschweige denn gebauten und erprobten
Seriengeräte bestellten. Ende 1939 wurde das erste
dieser Geräte [21]
nach Hoechst geliefert (Abb. 11). Das
Gerät Nr. 26 wurde übrigens noch im Herbst 1943
von Siemens an Prof. Arne
Tiselius in Uppsala ausgeliefert. Insgesamt wurden
bis zum Februar 1945 über 30 Elektronenmikroskope in
Berlin gefertigt und ausgeliefert. Damit konnten nun
erstmals auch Vertreter verschiedener medizinischer und
biologischer Disziplinen sich ihre unabhängige,
eigene Meinung über die Zukunftsaussichten der
Elektronenmikroskopie bilden. Allerdings war damals die
Auswahl der Objekte immer noch begrenzt, da man noch
keine für das Elektronenmikroskop genügend
dünnen Schnitte von beliebigen Objekten erhalten
konnte. Das Kriegsende beendete aus äußeren
Gründen auch die enge Zusammenarbeit mit meinem
Bruder und Bodo von Borries bei Siemens.
7. Entwicklung der
Elektronenmikroskopie nach 1945
Mit dem Wiederaufbau unserer vollkommen demontierten
Entwicklungsstelle konnte ich schon Ende Juni 1945 mit
meist neuen Mitarbeitern beginnen. Trotz der damals
schwierigen Umstände in Berlin und im übrigen
Deutschland konnten Ende 1949 wieder neu entwickelte
Elektronenmikroskope [22]
geliefert werden. 1954 hatte Siemens mit einer weiteren
Neukonstruktion [23],
dem "Elmiskop" (Abb. 12 und Abb.
13), wieder seine alte Spitzenstellung erreicht.
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Abb. 12: Erstes
serienmäßiges
100-kV-Elektronenmikroskop mit zwei
Kondensorlinsen für Kleinfeldbestrahlung
(Siemens) - Querschnitt [23].
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Abb. 13: Dasselbe
Gerät wie Abb. 12 (Ansicht)
[23].
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Dieses Gerät hatte erstmals zwei Kondensorlinsen,
um vom Objekt zu dessen thermischer Schonung nur ein so
kleines Feld zu bestrahlen, wie es für die
gewünschte Endvergrößerung jeweils
erforderlich ist. Da z.B. für eine 100000fache
Vergrößerung ein durchstrahltes Objektfeld von
nur 1 µm für ein Bild von 10 cm Durchmesser
ausreicht, kann allein dadurch im Vergleich zu
früher üblichen Bestrahlungen von ca. 1 mm
Durchmesser die im Objekt in Wärme umgesetzte
Leistung des Elektronenstrahls auf ein Millionstel
reduziert werden. Die Objekte werden gerade so
heiß, daß die in ihnen erzeugte
Wärmeleistung in den gesamten Raum um das Objekt
abgestrahlt werden kann. Ist die Wärmeleistung
gering, genügt zur Abstrahlung auch eine geringere
Übertemperatur über die Umgebung.
Das neue Gerät wurde aber zunächst eine
große Enttäuschung, als wir erleben
mußten, daß sich bei der
"Kleinfeldbestrahlung" das Bild des nun nicht mehr
heißen Objektfelds in wenigen Sekunden so dunkel
wurde, daß alle im ersten Augenblick noch
sichtbaren Einzelheiten verschwanden. Untersuchungen
zeigten dann, daß geringe Restgase im evakuierten
Gerät, insbesondere Kohlenwasserstoffe, vornehmlich
an den kalten inneren Oberflächen des Geräts,
also jetzt auch auf dem Objekt selbst kondensieren und
daß die im bestrahlten Objektfeld sich daraus
bildende Kohlenstoffschicht um so dunkler abgebildet
wird, je dicker sie wird. Glücklicherweise konnte
auch dieses Mißgeschick nach einiger Zeit mit
relativ einfachen Mitteln ausgebügelt werden. Man
unterkühlte mit flüssiger Luft die gesamte
Umgebung des Objekts, so daß dieses selbst auch
ohne Erhitzung durch den Strahl immer noch bedeutend
wärmer als seine Umgebung war. So kondensierten die
Kohlenwasserstoff-Restgase auf den unterkühlten
Flächen und nicht mehr auf dem Objekt.
Als diese Lösung gefunden worden war, hatte aber
auch die andere immer noch bestehende Schwierigkeit der
zu großen Dicke von Objektschnitten eine
überraschende Lösung durch von verschiedenen
Forschern entwickelte neuartige "Ultramikrotome"
gefunden. Statt der geschliffenen Stahlmesser, deren
Schneiden - durch Kristallisation bedingt - nicht
genügend glatt waren, verwendete man
Glasbruchschneiden, die keine kristallinen Rauhigkeiten
mehr hatten. Der bisher übliche mechanische Vorschub
des Materials senkrecht zum Messer ist infolge der
mechanischen Lockerstellen, der "toten Gänge", ja
selbst infolge der veränderlich dicken
Ölschichten nicht hinreichend genau für die
gewünschten sehr geringen Vorschübe von ca.
10-5mm. Man erhielt statt dessen von solchen
Fehlern freie, kleinste Vorschübe durch thermische
Ausdehnung eines Stabs, an dessen Ende das Objekt
befestigt war. Damit die extrem dünnen Schnitte eben
blieben, ließ man sie unmittelbar nach dem
Schneiden in eine alkoholische Lösung fallen, so
daß sie infolge von deren Oberflächenspannung
glatt ausgebreitet blieben. Darüber hinaus wurden
für die neue Schneidetechnik auch noch besser
geeignete Fixiermittel gefunden. Vor allem die
Entwicklung dieser neuen Ultramikrotome hat die bis dahin
noch bestehenden Beschränkungen in der Auswahl von
Objekten für die Elektronenmikroskopie so
entscheidend vermindert, daß seit etwa 25 Jahren
fast alle bisher durch die Lichtmikroskopie
geprägten Disziplinen auch für die
Elektronenmikroskopie zugänglich und dann durch sie
gefördert wurden.
Die Elektronenmikroskopie ist während der letzten
Jahrzehnte in vielen Ländern von zahlreichen
bedeutenden Wissenschaftlern, Ingenieuren und
Konstrukteuren durch neue Ideen und Verfahren
weiterentwickelt worden. Ich kann aus Zeitgründen
hier nur wenige Beispiele bieten: Die Abb.
14 und Abb. 15 zeigen in Ansicht
bzw. im Schnitt ein Elektronenmikroskop
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Fig.
14:
Querschnitt eines
100-kV-Elektronenmikroskops mit
Einfeld-Kondensor-Objektiv (Ansicht)
[24].
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Fig. 15: Das selbe
gerät wie in Abb. 14 (Ansicht)
[24].
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mit Einfeld-Kondensor-Objektiv, bei dem das Objekt im
Feldmaximum einer magnetischen Polschuhlinse liegt
[24]. Dadurch wirkt der vor dem
Objekt liegende zunehmende Bereich des Magnetfeldes als
Kondensor mit kurzer Brennweite und der hinter dem Objekt
liegende abnehmende Feldbereich als Objektiv von gleich
kurzer Brennweite. Bei dieser Anordnung haben beide
Linsen einen besonders kleinen Öffnungsfehler.
Abb. 16 zeigt eine mit diesem
Gerät gewonnene Aufnahme eines Goldkristalls. Man
sieht deutlich die Gitterebenen im Abstand von 1,4
Å. Zwei solcher Geräte wurden nach meinem 1955
erfolgten Ausscheiden bei Siemens im Institut für
Elektronenmikroskopie entwickelt, das die Max-Planck-Gesellschaft
in ihrem Fritz-Haber-Institut
in Berlin-Dahlem für mich eingerichtet hatte.
Abb. 17 zeigt ein von Japan Electron
Optics Laboratory Co. Ltd. gebautes
Höchstspannungsgerät für 1 MV. Bei solchen
Geräten, deren Entwicklung vor allem durch
Gaston Dupouy (1900-1985)
gefördert wurde,
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Fig. 16:
Blättchenförmiger Goldkristall,
Netzebenen im Abstand von 0,14 nm bei
achsenparalleler Durchstrahlung.
(U=100 kV,
Mel=800.000:1); aufgenommen 1976 von
K. Weiss und F. Zemlin mit dem
1009-kV-Elektronenmikroskop mit
Einfeld-Kondensor-Objektiv des Fritz-Haber-Instituts
der Max-Planck-Gesellschaft.
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Fig. 17:
1-MV-Elektronenmikroskop (Japan Electron Optics
Laboratoty Co. Ltd.).
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treten abgesehen von den sehr hohen Kosten u. a.
besondere Probleme bei der Konstanthaltung der
Strahlspannung und beim Schutz des Bedienungspersonals
vor Röntgenstrahlen auf. Ihre Entwicklung galt
ursprünglich der Untersuchung dickerer
Objektschnitte, gilt inzwischen aber auch der
Verbesserung der Auflösung durch die kürzere
Materiewelle der besonders hoch beschleunigten
Elektronen, nachdem man gelernt hat, diese hohen
Spannungen genügend konstant zu halten. Seit
geraumer Zeit ist in der Elektronenmikroskopie die
besonders durch die Arbeiten von
Fernandez-Moran in den USA
geförderte Kryotechnik wichtig geworden. Mit ihr
werden sehr stark unterkühlte Objekte untersucht,
weil sie eine höhere Strahlendosis aushalten und
sich chemisch weniger verändern. So gelang es in den
letzten Jahren, sehr strahlenempfindliche Kristalle mit
einer Auflösung von 3,5 Å in einem
Kryomikroskop [25,
26] abzubilden
(Abb. 18).
Abb. 18: Paraffin
crystal (left: image taken with minimum dose,
right: superposition of 400 subregions of the
left image by menas of the computer)
[25].
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Dabei wurde das Präparat auf -
269°C abgekühlt. Eine direkte
Abbildung mit ausreichendem Kontrast gelingt
nicht, weil das Präparat schon bei der
für eine Aufnahme erforderlichen
Strahlendosis zerfällt. Es können
daher nur sehr schwach unterbelichtete Aufnahmen
aufgenommen werden. Ein solches Einzelbild ist
dann stark verrauscht, enthält aber noch
genügend viel periodische Information.
Dieses wird mit Hilfe eines Computers wie folgt
ermittelt: Das Mikrogramm wird zunächst
densitometriert und digitalisiert, so daß
jedem Bildpunkt eine Zahl zugeordnet wird, die
die Schwärzung beschreibt. Die
unterbelichtete Aufnahme des ganzen Kristalls
wird schachbrettartig per Computer aufgeteilt,
und dann werden sehr viele - im vorliegenden
Fall waren es 400 - dieser Einzelbilder
zueinander periodengerecht justiert und per
Computer summiert.
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Das entstandene Bild entspricht einem genügend
belichteten Bild. Links in Abb. 18 ist
das ursprünglich stark verrauschte Einzelbild eines
Paraffin-Kristalls zu sehen, rechts ist das Summenbild
wiedergegeben. Jeder weiße Punkt repräsentiert
ein Paraffinmolekül. Die langen
Paraffinmoleküle C44H90 sind
senkrecht zur Bildebene angeordnet. Mit dem Verfahren,
elektronenmikroskopische Bilder per Computer zu
verarbeiten, gelingt es sogar, Proteinkristalle
dreidimensional mit hoher Auflösung abzubilden
[27].
Auf die zwischenzeitlich entwickelten und eine
Zeitlang auch serienmäßig hergestellten
Durchstrahlungsmikroskope mit elektrostatischen Linsen,
auf die heute sehr verbreiteten abtastenden
Elektronenmikroskope insbesondere für die
Betrachtung von Oberflächen, aber auch zum
Betrachten durchstrahlbarer Objekte, auf die große
Bedeutung der verschiedenartigen, teils mit Computerhilfe
durchgeführten Bildauswertungsverfahren sowie auf
das Feldelektronen- und Ionenmikroskop kann ich aus
Zeitgründen hier leider nicht mehr eingehen.
Die Entwicklung der heutigen Elektronenmikroskope war
im wesentlichen ein Kampf gegen die unerwünschten
Folgen derselben Eigenschaften von Elektronenstrahlen,
die die sublichtmikroskopische Auflösung erst
ermöglicht haben. So ist z. B. die kurze
Materiewelle - die Voraussetzung der guten Auflösung
an die wegen der Objektbelastung nicht erwünschte
hohe Elektronenenergie gekoppelt. Die Ablenkbarkeit im
magnetischen Feld - die Voraussetzung der Linsenabbildung
- kann die Auflösung begrenzen, wenn die
magnetischen Wechselfelder im Raum nicht genügend
vom Elektronenmikroskop abgeschirmt werden. Wir sollten
daher heute auch diejenigen Wissenschaftler nicht
verurteilen, die der Elektronenmikroskopie an ihrem
Beginn kaum eine Chance gaben. Es ist letzten Endes doch
fast ein Wunder, daß alle Schwierigkeiten bisher so
weit gelöst werden konnten, daß die
Elektronenmikroskopie für so viele
naturwissenschaftlichen Disziplinen derart fruchtbar
geworden ist.
- * heute: Humboldt-Universität
Berlin
- ** heute: Institut
für Geschichte der Medizin - Charité
Berlin