Wortlaut der Information der ROYAL SWEDISH ACADEMY OF SCIENCES vom 15. Oktober 1986

 

Nobelpreis für Physik an die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz für die Entwicklung von Mikroskopen.

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat beschlossen, den Nobelpreis in Physik für das Jahr 1986 zur einen Hälfte an

Professor Ernst Ruska, Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin, für seine fundamentalen elektronenoptischen Arbeiten und die Konstruktion des ersten Elektronenmikroskops verliehen,

und zur anderen Hälfte gemeinsam an

Dr. Gerd Binnig und Dr. Heinrich Rohrer, an dem Forschungslabor von IBM, Zürich, Schweiz, für ihre Konstruktion des "Raster-Tunnel-Mikroskops".

Zusammenfassung

Die eine Hälfte des diesjährigen Nobelpreises in Physik wurde Ernst Ruska für seine "fundamentalen elektronenoptischen Arbeiten und die Konstruktion des ersten Elektronenmikroskops" verliehen. Die Bedeutung, die das Elektronenmikroskop innerhalb verschiedener Wissenschaften, beispielsweise Biologie und Medizin, hatte und hat, ist völlig klar. Es ist eine der wichtigsten Erfindungen dieses Jahrhunderts. Die Entwicklung begann mit den Arbeiten, die Ruska Ende der 20er Jahre als junger Student an der Technischen Hochschule in Berlin ausführte. Er fand, dass eine Magnetspule als Linse das Bild eines Gegenstandes erhalten liess, der mit Elektronen bestrahlt wurde. Indem er zwei derartige Linsen zusammensetzte, brachte er ein primitives Mikroskop zustande. Sehr rasch verbesserte er verschiedene Einzelheiten, so dass er 1933 das erste Elektronenmikroskop mit Leistungen bauen konnte, die den herkömmlichen Lichtmikroskopen deutlich überlegen waren. Er trug dann wirksam zur Entwicklung von kommerziellen, im Serienbau hergestellten Elektronenmikroskopen bei, die in vielen verschiedenen Wissenschaftsbereichen rasch zur Anwendung kamen.

Die Elektronenmikroskopie hat sich danach durch technische Verbesserungen und durch das Entstehen ganz neuer Konstruktionen, beispielsweise das "Raster-Elektronenmikroskop" weiter entwickelt. Sowohl bei dieser Entwicklung als auch bei der früheren waren mehrere Forscher beteiligt, doch erschienen die bahnbrechenden Arbeiten Ruskas als Hauptbeiträge.

Die zweite Hälfte des diesjährigen Preises wurde Gerd Binnig und Heinrich Rohrer für "ihre Konstruktion des "Raster-Tunnel-Mikrosops" verliehen. Dieses Instrument ist eigentlich kein Mikroskop (d.h. ein Instrument, das ein Direktbild eines Gegenstandes gibt), sondern es gründet sich auf das Prinzip, dass die Struktur einer Fläche mit Hilfe einer spitzigen Nadel studiert wird. Die Einstellung der Nadel erfolgt mit Hilfe des sog. Tunneleffekts, davon der Name des Instruments. Wenn eine elektrische Spannung zwischen die Nadelspitze und die Fläche gelegt wird, fliesst dazwischen ein elektrischer Strom, trotzdem kein Kontakt besteht. Die Stromstärke hängt sehr stark vom Abstand ab und dies ermöglicht es, einen gleichbleibenden Abstand von ca. 10-7cm (d.h. ca. 2 Atomdiameter) einzuhalten. Ferner ist die Nadel sehr fein, die äusserste Spitze bildet ein einziges Atom. Sie kann deshalb auch den feinsten Einzelheiten der Fläche folgen. Wenn die Bewegung der Nadel registriert wird, ist es möglich, die Flächenstruktur Atom nach Atom zu studieren.

Das "Raster-Tunnel-Mikroskop" ist ganz neu und wir haben nur den Anfang der Entwicklung gesehen. Es steht jedoch völlig fest, dass sich hier ganz neue Möglichkeiten zum Studium der Struktur der Materie eröffnen. Das grosse Verdienst Binnigs und Rohrers ist, dass es ihnen - ausgehend von früheren Arbeiten und Ideen - gelungen ist, die ausserordentlich grossen experimentellen Schwierigkeiten zu bewältigen, die der Bau eines Instruments mit der Präzision und Stabilität, die hier erforderlich sind, bedeutet.

Hintergrundinformation

Als das gewöhnliche Mikroskop erfunden wurde, bedeutete dies einen grossen Fortschritt für die Wissenschaft, hauptsächlich in der Biologie und in der Medizin. Danach baute man immer bessere Mikroskope, doch entdeckte man, daß es eine Grenze gibt, die nicht überschritten werden kann. Diese hängt mit der Wellennatur des Lichts zusammen. Mit Lichtwellen kann man keine Einzelheiten wahrnehmen, die kleiner als eine Wellenlänge des Lichts sind. Das sog. Auflösungsvermögen gibt den Abstand zwischen zwei Einzelheiten im Bild an, die gerade noch wahrgenommen werden können. Für ein gewöhnliches Mikroskop, das mit sichtbarem Licht arbeitet, ist das Auflösungsvermögen etwa 4000 Å (1 Å, Angström = 10-8 cm).

Der große Fortschritt in der Mikroskopie kam, als man fand, dass es möglich sei, einen Gegenstand mit Hilfe eines Elektronenstrahls abzubilden. Der Ausgangspunkt war die Entdeckung, dass eine Magnetspule im Prinzip als optische Linse fungieren kann. Ein divergentes Bündel Elektronen, das die Magnetspule passieren darf, wird zu einem Punkt zusammengebrochen. Auch ein zweckmäßig gestaltetes Feld kann als elektronenoptische Linse dienen. Mit Hilfe einer solchen Linse kann man ein vergrössertes Bild eines Gegenstands erhalten, der mit Elektronen bestrahlt wird. Das Bild wird von einem fluoreszierenden Schirm oder einer fotografischen Platte registriert. Es zeigte sich auch möglich, zwei oder mehrere Linsen zu kombinieren, um die Vergrößerung zu steigern. Diese Arbeiten wurden an der Technischen Hochschule in Berlin Ende der 20er Jahre ausgeführt. Ernst Ruska hat den wichtigsten Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Als junger Student begann er zusammen mit seinem Tutor Max Knoll einfache, magnetische Spulen zu studieren. Er fand, dass eine zweckmäßig gestaltete Eiseneinkapselung die elektronenoptischen Eigenschaften verbesserte. Vor allen wurde es möglich, eine Linse mit kurzer Brennweite zu bauen. Dies ist wesentlich, wenn man ein Bild mit starker Vergrösserung erhalten will. Mit zwei derartigen hintereinander geschalteten Spulen erzielte er eine 15fache Vergrößerung. Wenn dies auch ein bescheidenes Ergebnis war, bedeutete es doch die Entstehung des ersten Prototyps eines Eletronenmikroskops. Ruska arbeitete danach zielbewußt weiter an einer Verbesserung der verschiedenen Einzelheiten und 1933 baute er das, was man als das erste Elektronenmikroskop im modernen Sinne bezeichnen kann, d.h. ein Instrument mit einer wesentlich besseren Leistung als sich mit herkömmlichen Lichtmikroskopen erzielen läßt. Er wurde dann von Siemens angestellt und beteiligte sich an der Entwicklung des ersten kommerziell zur Verfügung stehenden, im Serienbau hergestellten Elektronenmikroskops, das 1939 auf den Markt kam. Dies kann als der wirkliche Durchbruch der Elektronenmikrospie bezeichnet werden.

Seitdem hat sich das Elektronenmikroskop in hohem Grade entwickelt. Man könnte womöglich glauben, dass hinsichtlich des Auflösungsvermögens keine theoretische Beschränkung geben würde, da das Elektron ein punktförmiges Partikel ist. Nach der Quantenmechanik hat indes jedes Partikel einen Wellencharakter, der eine Unsicherheit bei der Positionsbestimmung ergibt. Dies setzt dem Auflösungsvermögen eine theoretische Grenze, die mit normal angewandten Akzelerationsspannungen im Bereich 0,5-1 Å liegt. In der Praxis ist man auf ca. 1 Å hinuntergekommen.

Der von Ruska entwickelte Typ eines Elektronenmikroskops wird Transmissionsmikroskop genannt. Der abzubildende Gegenstand hat die Form eines dünnen Schnitts und der Elektronenstrahl geht durch diesen gerade hindurch, auf dieselbe Weise, wie das Licht durch das Objekt in einem Lichtmikroskop geht. Es gibt jedoch mehrere andere Typen von Elektronenmikroskopen. Das vielleicht wichtigste neben dem Transmissionsmikroskop ist das "Elektronenmikroskop". In diesem soll ein sehr fein fokussierter Elektronenstrahl den Gegenstand treffen. Die dabei emittierten Sekundärelektronen werden von einem Detektor aufgefangen und der Strom wird registriert. Der Elektronenstrahl wird von Spulen gelenkt, so daß er über den Gegenstand dahingleitet - auf dieselbe Weise wie der Strahl in einem Fernsehempfänger. Schwankungen der Emission von Sekundärelektronen verursachen auf diese Weise ein Bild. Der Vorteil ist die große Fokustiefe, die ein dreidimensionales Bild ergibt, im Gegensatz zu dem Querschnittsbild, das man mit einem Transmissionsmikroskop erhält. Das Auflösungsvermögen ist jedoch schlechter. Diese zwei Typen von Mikroskopen ergänzen deshalb einander.

Die Elektronenmikroskopie hat sich in den letzten Jahrzehnten äußerst rasch entwickelt: mit technischen Verbesserungen und ganz neuen Konstruktionen. Deren Bedeutung kann kaum überschätzt werden. In Anbetracht dessen erscheint die Wichtigkeit der frühesten, grundlegenden Arbeiten immer klarer. Wenn auch mehrere Forscher dazu beigetragen haben, können die Leistungen Ruskas deutlich an die erste Stelle gesetzt werden. Seine elektronenoptischen Untersuchungen un der Bau des ersten wirklichen Elektronenmikroskops waren für die weitere Entwicklung ganz entscheidend.

Der letzte Beitrag zur Entwicklung der Mikroskopie ist das sog. "Raster-Tunnel-Mikroskop". Es arbeitet auf eine ganz andere Weise als die sonstigen Typen von Mikroskopen. Mit einer mechanischen Vorrichtung tastet man die Struktur auf einer Fläche ab. Das Prinzip ist eigentlich das gleiche, das beim Lesen der Blindenschrift angewandt wird. In diesem Fall ist es der Finger, der die eingeprägten Schriftzeichen registriert. Ein sehr viel detaillierteres Bild der Topographie einer Fläche kann man erhalten, wenn man eine feine Nadel über die Fläche gleiten lässt und dabei die Bewegung der Nadel in senkrechter Richtung registriert. Der Detailreichtum der Abbildung wird dadurch bestimmt - das sog. Auflösungsvermögen - wie fein die Nadel ist und wie gut sie der Struktur der Fläche folgen kann. Es ist offensichtlich, dass eine viel zu feine Nadelspitze rasch zerstört wird, ebenso wie feine Details der Flächenstruktur durch den mechanischen Kontakt beschädigt werden können. Eine Lösung dieses Problems wäre, die Nadelspitze in einem geringen, gleichbleibenden Abstand von der Fläche zu halten. Als erstem gelang dies dem amerikanischen Physiker Russell Young am National Bureau of Standards in den USA. Er bediente sich eines Phänomens, das Feldemission genannt wird. Das bedeutet, daß dann, wenn eine genügend hohe Spannung zwischen die Nadel und die Fläche gelegt wird, ein Strom fließt, dessen Stärke von dem Abstand zwischen Nadelspitze und Fläche abhängt. Hat dieser Abstand eine Folgeregelung, die vom Strom gesteuert wird, kann der Abstand ohne mechanischen Kontakt unverändert gehalten werden. Young gelang es auch, ein Instrument zu bauen, daß nach diesem Prinzip funktionierte. Der Abstandt zwischen Spitze und Fläche betrug ca. 200 Å. Das Auflösungsvermögen wurde deshalb erheblich schlechter als für ein Elektronenmikroskop.

Young sah indes ein, dass es eine Möglichkeit geben sollte, eine bessere Auflösung durch die Nutzung des sog. Tunneleffektes zu erzielen. Dies ist ein quantenmechanischer Effekt, der bewirkt, daß ein Elektron (und auch andere Partikeln) ein Gebiet passieren kann, wo es sich der klassischen Physik zufolge nicht befinden kann, da es keine genügend hohe Energie hat. Man spricht davon, dass es durch einen Potentialberg kommen könne, und zwar durch einen quantenmechanischen Tunnel (davon der Name "Tunnelmikroskop"). In diesem Fall bedeutet dies, dass dann, wenn die Nadelspitze der Fläche nahe genug ist (10 Å, d.h. 1-2 Atomdiameter), fliesst ein Strom auch bei Niederspannung. Auf dieselbe Weise wie bei der Feldemission müßte man diesen Effekt zur Steuerung der Nadel ohne mechanischen Kontakt nutzen können. Young gelang es jedoch nicht, diese Idee wegen der ausserordentlich großen experimentellen Schwierigkeiten in die Praxis umzusetzen.

Diejenigen, denen es wirklich gelang, ein "Raster-Tunnel-Mikroskop" zu bauen, sind Gerd Binnig und Heinrich Rohrer an dem Forschungslaboratorium von IBM in Zürich, Schweiz. Der Grund des Erfolgs war die ausserordentliche Präzision der mechanischen Konstruktion. Als Beispiel sei erwähnt, dass störende Vibrationen aus der Umgebung dadurch beseitigt wurden, daß das Mikroskop auf einen schweren, permanenten Magneten gebaut wurde, der frei in einer Schale aus supraleitfähigem Blei schwebte. Nunmehr hat man weniger sperrige, doch ebenso effektive Vorrichtungen entwickelt, um ein stabiles und störungsfreies Aufhängen des Mikroskops zu erreichen. Die waagerechte Lage der Nadel kann mit piezoelektrischen Elementen in zwei gegeneinander rechtwinklige Richtungen festgelegt werden, so daß sie die Fläche längs parallel verschobener Geraden "abtasten" kann. Die Lage der Nadel in senkrechter Richtung wird mit einem anderen Piezoelement reguliert und gemessen. Mit einer besonderen Technik ist es gelungen, Nadeln herzustellen, deren Spitze aus einem einzigen Atom besteht. Die Präzision der Abbildung wird da natürlich äußerst gut. Das Auflösungsvermögen in waagerechter Richtung beträgt ca. 2 Å und in senkrechter Richtung ca. 0,1 Å. Dies bedeutet, dass man einzelne Atome abbilden kann, d.h. man kann ins kleinste Detail die atomare Struktur der Fläche studieren, die man untersucht.

Es ist offensichtlich, dass diese Technik außerordentlich vielversprechend ist, und daß wir bislang nur den Anfang der Entwicklung gesehen haben. Eine große Anzahl Forschergruppen verwendet jetzt das "Raster-Tunnel-Mikroskop" in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. Das Studium von Flächen ist ein wichtiger Teil der Physik mit spezieller Anwendung in der Halbleiterphysik und der Mikroelektronik. Auch in der Chemie spielen Oberflächenreaktionen eine wichtige Rolle, beispielsweise im Zusammenhang mit Katalysen. Es ist auch möglich, auf einer Oberfläche organische Moleküle festzustellen und deren Struktur zu studieren. Mit dieser Technik hat man u.a. DNA-Moleküle untersucht.

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