Nobelpreis für Physik an die
Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz für die
Entwicklung von Mikroskopen.
Die Königlich
Schwedische Akademie der Wissenschaften hat
beschlossen, den Nobelpreis in Physik für das Jahr
1986 zur einen Hälfte an
Professor Ernst Ruska, Fritz-Haber-Institut
der Max-Planck-Gesellschaft,
Berlin, für seine fundamentalen elektronenoptischen
Arbeiten und die Konstruktion des ersten
Elektronenmikroskops verliehen,
und zur anderen Hälfte gemeinsam an
Dr. Gerd Binnig und Dr. Heinrich Rohrer, an dem
Forschungslabor
von IBM,
Zürich, Schweiz, für ihre Konstruktion des
"Raster-Tunnel-Mikroskops".
Zusammenfassung
Die eine Hälfte des diesjährigen
Nobelpreises in Physik wurde Ernst
Ruska für seine "fundamentalen
elektronenoptischen Arbeiten und die Konstruktion des
ersten Elektronenmikroskops" verliehen. Die Bedeutung,
die das Elektronenmikroskop innerhalb verschiedener
Wissenschaften, beispielsweise Biologie und Medizin,
hatte und hat, ist völlig klar. Es ist eine der
wichtigsten Erfindungen dieses Jahrhunderts. Die
Entwicklung begann mit den Arbeiten, die Ruska Ende der
20er Jahre als junger Student an der Technischen
Hochschule in Berlin ausführte. Er fand, dass eine
Magnetspule als Linse das Bild eines Gegenstandes
erhalten liess, der mit Elektronen bestrahlt wurde. Indem
er zwei derartige Linsen zusammensetzte, brachte er ein
primitives Mikroskop zustande. Sehr rasch verbesserte er
verschiedene Einzelheiten, so dass er 1933 das erste
Elektronenmikroskop mit Leistungen bauen konnte, die den
herkömmlichen Lichtmikroskopen deutlich
überlegen waren. Er trug dann wirksam zur
Entwicklung von kommerziellen, im Serienbau hergestellten
Elektronenmikroskopen bei, die in vielen verschiedenen
Wissenschaftsbereichen rasch zur Anwendung kamen.
Die Elektronenmikroskopie hat sich danach durch
technische Verbesserungen und durch das Entstehen ganz
neuer Konstruktionen,
beispielsweise das
"Raster-Elektronenmikroskop" weiter entwickelt.
Sowohl bei dieser Entwicklung als auch bei der
früheren waren mehrere Forscher beteiligt, doch
erschienen die bahnbrechenden Arbeiten Ruskas als
Hauptbeiträge.
Die zweite Hälfte des diesjährigen Preises
wurde Gerd
Binnig und Heinrich
Rohrer für "ihre Konstruktion des
"Raster-Tunnel-Mikrosops" verliehen. Dieses Instrument
ist eigentlich kein Mikroskop (d.h. ein Instrument, das
ein Direktbild eines Gegenstandes gibt), sondern es
gründet sich auf das Prinzip, dass die Struktur
einer Fläche mit Hilfe einer spitzigen Nadel
studiert wird. Die Einstellung der Nadel erfolgt mit
Hilfe des sog. Tunneleffekts, davon der Name des
Instruments. Wenn eine elektrische Spannung zwischen die
Nadelspitze und die Fläche gelegt wird, fliesst
dazwischen ein elektrischer Strom, trotzdem kein Kontakt
besteht. Die Stromstärke hängt sehr stark vom
Abstand ab und dies ermöglicht es, einen
gleichbleibenden Abstand von ca. 10-7cm (d.h.
ca. 2 Atomdiameter) einzuhalten. Ferner ist die Nadel
sehr fein, die äusserste Spitze bildet ein einziges
Atom. Sie kann deshalb auch den feinsten Einzelheiten der
Fläche folgen. Wenn die Bewegung der Nadel
registriert wird, ist es möglich, die
Flächenstruktur Atom nach Atom zu studieren.
Das "Raster-Tunnel-Mikroskop" ist ganz neu und wir
haben nur den Anfang der Entwicklung gesehen. Es steht
jedoch völlig fest, dass sich hier ganz neue
Möglichkeiten zum Studium der Struktur der Materie
eröffnen. Das grosse Verdienst Binnigs und Rohrers
ist, dass es ihnen - ausgehend von früheren Arbeiten
und Ideen - gelungen ist, die ausserordentlich grossen
experimentellen Schwierigkeiten zu bewältigen, die
der Bau eines Instruments mit der Präzision und
Stabilität, die hier erforderlich sind,
bedeutet.
Hintergrundinformation
Als das gewöhnliche Mikroskop erfunden wurde,
bedeutete dies einen grossen Fortschritt für die
Wissenschaft, hauptsächlich in der Biologie und in
der Medizin. Danach baute man immer bessere Mikroskope,
doch entdeckte man, daß es eine Grenze gibt, die
nicht überschritten werden kann. Diese hängt
mit der Wellennatur des Lichts zusammen. Mit Lichtwellen
kann man keine Einzelheiten wahrnehmen, die kleiner als
eine Wellenlänge des Lichts sind. Das sog.
Auflösungsvermögen gibt den Abstand zwischen
zwei Einzelheiten im Bild an, die gerade noch
wahrgenommen werden können. Für ein
gewöhnliches Mikroskop, das mit sichtbarem Licht
arbeitet, ist das Auflösungsvermögen etwa 4000
Å (1 Å, Angström = 10-8
cm).
Der große Fortschritt in der Mikroskopie kam,
als man fand, dass es möglich sei, einen Gegenstand
mit Hilfe eines Elektronenstrahls abzubilden. Der
Ausgangspunkt war die Entdeckung, dass eine Magnetspule
im Prinzip als optische Linse fungieren kann. Ein
divergentes Bündel Elektronen, das die Magnetspule
passieren darf, wird zu einem Punkt zusammengebrochen.
Auch ein zweckmäßig gestaltetes Feld kann als
elektronenoptische Linse dienen. Mit Hilfe einer solchen
Linse kann man ein vergrössertes Bild eines
Gegenstands erhalten, der mit Elektronen bestrahlt wird.
Das Bild wird von einem fluoreszierenden Schirm oder
einer fotografischen Platte registriert. Es zeigte sich
auch möglich, zwei oder mehrere Linsen zu
kombinieren, um die Vergrößerung zu steigern.
Diese Arbeiten wurden an der Technischen Hochschule in
Berlin Ende der 20er Jahre ausgeführt. Ernst Ruska
hat den wichtigsten Beitrag zu dieser Entwicklung
geleistet. Als junger Student begann er zusammen mit
seinem Tutor Max
Knoll einfache, magnetische Spulen zu
studieren. Er fand, dass eine zweckmäßig
gestaltete Eiseneinkapselung die elektronenoptischen
Eigenschaften verbesserte. Vor allen wurde es
möglich, eine Linse mit kurzer Brennweite zu bauen.
Dies ist wesentlich, wenn man ein Bild mit starker
Vergrösserung erhalten will. Mit zwei derartigen
hintereinander geschalteten Spulen erzielte er eine
15fache Vergrößerung. Wenn dies auch ein
bescheidenes Ergebnis war, bedeutete es doch die
Entstehung des ersten Prototyps eines
Eletronenmikroskops. Ruska arbeitete danach
zielbewußt weiter an einer Verbesserung der
verschiedenen Einzelheiten und
1933 baute er das, was man
als das erste
Elektronenmikroskop im modernen Sinne bezeichnen
kann, d.h. ein Instrument mit einer wesentlich besseren
Leistung als sich mit herkömmlichen Lichtmikroskopen
erzielen läßt. Er wurde dann von Siemens
angestellt und beteiligte sich an der Entwicklung des
ersten kommerziell zur Verfügung stehenden, im
Serienbau hergestellten Elektronenmikroskops, das 1939
auf den Markt kam. Dies kann als der wirkliche Durchbruch
der Elektronenmikrospie bezeichnet werden.
Seitdem hat sich das Elektronenmikroskop in hohem
Grade entwickelt. Man könnte womöglich glauben,
dass hinsichtlich des Auflösungsvermögens keine
theoretische Beschränkung geben würde, da das
Elektron ein punktförmiges Partikel ist. Nach der
Quantenmechanik hat indes jedes Partikel einen
Wellencharakter, der eine Unsicherheit bei der
Positionsbestimmung ergibt. Dies setzt dem
Auflösungsvermögen eine theoretische Grenze,
die mit normal angewandten Akzelerationsspannungen im
Bereich 0,5-1 Å liegt. In der Praxis ist man auf
ca. 1 Å hinuntergekommen.
Der von Ruska entwickelte Typ eines
Elektronenmikroskops wird Transmissionsmikroskop genannt.
Der abzubildende Gegenstand hat die Form eines
dünnen Schnitts und der Elektronenstrahl geht durch
diesen gerade hindurch, auf dieselbe Weise, wie das Licht
durch das Objekt in einem Lichtmikroskop geht. Es gibt
jedoch mehrere andere Typen von Elektronenmikroskopen.
Das vielleicht wichtigste neben dem
Transmissionsmikroskop ist das "Elektronenmikroskop". In
diesem soll ein sehr fein fokussierter Elektronenstrahl
den Gegenstand treffen. Die dabei emittierten
Sekundärelektronen werden von einem Detektor
aufgefangen und der Strom wird registriert. Der
Elektronenstrahl wird von Spulen gelenkt, so daß er
über den Gegenstand dahingleitet - auf dieselbe
Weise wie der Strahl in einem Fernsehempfänger.
Schwankungen der Emission von Sekundärelektronen
verursachen auf diese Weise ein Bild. Der Vorteil ist die
große Fokustiefe, die ein dreidimensionales Bild
ergibt, im Gegensatz zu dem Querschnittsbild, das man mit
einem Transmissionsmikroskop erhält. Das
Auflösungsvermögen ist jedoch schlechter. Diese
zwei Typen von Mikroskopen ergänzen deshalb
einander.
Die Elektronenmikroskopie hat sich in den letzten
Jahrzehnten äußerst rasch entwickelt: mit
technischen Verbesserungen und ganz neuen Konstruktionen.
Deren Bedeutung kann kaum überschätzt werden.
In Anbetracht dessen erscheint die Wichtigkeit der
frühesten, grundlegenden Arbeiten immer klarer. Wenn
auch mehrere Forscher dazu beigetragen haben, können
die Leistungen Ruskas deutlich an die erste Stelle
gesetzt werden. Seine elektronenoptischen Untersuchungen
un der Bau des ersten wirklichen Elektronenmikroskops
waren für die weitere Entwicklung ganz
entscheidend.
Der letzte Beitrag zur Entwicklung der Mikroskopie ist
das sog. "Raster-Tunnel-Mikroskop". Es arbeitet auf eine
ganz andere Weise als die sonstigen Typen von
Mikroskopen. Mit einer mechanischen Vorrichtung tastet
man die Struktur auf einer Fläche ab. Das Prinzip
ist eigentlich das gleiche, das beim Lesen der
Blindenschrift angewandt wird. In diesem Fall ist es der
Finger, der die eingeprägten Schriftzeichen
registriert. Ein sehr viel detaillierteres Bild der
Topographie einer Fläche kann man erhalten, wenn man
eine feine Nadel über die Fläche gleiten
lässt und dabei die Bewegung der Nadel in
senkrechter Richtung registriert. Der Detailreichtum der
Abbildung wird dadurch bestimmt - das sog.
Auflösungsvermögen - wie fein die Nadel ist und
wie gut sie der Struktur der Fläche folgen kann. Es
ist offensichtlich, dass eine viel zu feine Nadelspitze
rasch zerstört wird, ebenso wie feine Details der
Flächenstruktur durch den mechanischen Kontakt
beschädigt werden können. Eine Lösung
dieses Problems wäre, die Nadelspitze in einem
geringen, gleichbleibenden Abstand von der Fläche zu
halten. Als erstem gelang dies dem amerikanischen
Physiker Russell Young am National Bureau of Standards in
den USA. Er bediente sich eines Phänomens, das
Feldemission genannt wird. Das bedeutet, daß dann,
wenn eine genügend hohe Spannung zwischen die Nadel
und die Fläche gelegt wird, ein Strom fließt,
dessen Stärke von dem Abstand zwischen Nadelspitze
und Fläche abhängt. Hat dieser Abstand eine
Folgeregelung, die vom Strom gesteuert wird, kann der
Abstand ohne mechanischen Kontakt unverändert
gehalten werden. Young gelang es auch, ein Instrument zu
bauen, daß nach diesem Prinzip funktionierte. Der
Abstandt zwischen Spitze und Fläche betrug ca. 200
Å. Das Auflösungsvermögen wurde deshalb
erheblich schlechter als für ein
Elektronenmikroskop.
Young sah indes ein, dass es eine Möglichkeit
geben sollte, eine bessere Auflösung durch die
Nutzung des sog. Tunneleffektes zu erzielen. Dies ist ein
quantenmechanischer Effekt, der bewirkt, daß ein
Elektron (und auch andere Partikeln) ein Gebiet passieren
kann, wo es sich der klassischen Physik zufolge nicht
befinden kann, da es keine genügend hohe Energie
hat. Man spricht davon, dass es durch einen Potentialberg
kommen könne, und zwar durch einen
quantenmechanischen Tunnel (davon der Name
"Tunnelmikroskop"). In diesem Fall bedeutet dies, dass
dann, wenn die Nadelspitze der Fläche nahe genug ist
(10 Å, d.h. 1-2 Atomdiameter), fliesst ein Strom
auch bei Niederspannung. Auf dieselbe Weise wie bei der
Feldemission müßte man diesen Effekt zur
Steuerung der Nadel ohne mechanischen Kontakt nutzen
können. Young gelang es jedoch nicht, diese Idee
wegen der ausserordentlich großen experimentellen
Schwierigkeiten in die Praxis umzusetzen.
Diejenigen, denen es wirklich gelang, ein
"Raster-Tunnel-Mikroskop" zu bauen, sind Gerd Binnig und
Heinrich Rohrer an dem Forschungslaboratorium von IBM in
Zürich, Schweiz. Der Grund des Erfolgs war die
ausserordentliche Präzision der mechanischen
Konstruktion. Als Beispiel sei erwähnt, dass
störende Vibrationen aus der Umgebung dadurch
beseitigt wurden, daß das Mikroskop auf einen
schweren, permanenten Magneten gebaut wurde, der frei in
einer Schale aus supraleitfähigem Blei schwebte.
Nunmehr hat man weniger sperrige, doch ebenso effektive
Vorrichtungen entwickelt, um ein stabiles und
störungsfreies Aufhängen des Mikroskops zu
erreichen. Die waagerechte Lage der Nadel kann mit
piezoelektrischen Elementen in zwei gegeneinander
rechtwinklige Richtungen festgelegt werden, so daß
sie die Fläche längs parallel verschobener
Geraden "abtasten" kann. Die Lage der Nadel in
senkrechter Richtung wird mit einem anderen Piezoelement
reguliert und gemessen. Mit einer besonderen Technik ist
es gelungen, Nadeln herzustellen, deren Spitze aus einem
einzigen Atom besteht. Die Präzision der Abbildung
wird da natürlich äußerst gut. Das
Auflösungsvermögen in waagerechter Richtung
beträgt ca. 2 Å und in senkrechter Richtung
ca. 0,1 Å. Dies bedeutet, dass man einzelne Atome
abbilden kann, d.h. man kann ins kleinste Detail die
atomare Struktur der Fläche studieren, die man
untersucht.
Es ist offensichtlich, dass diese Technik
außerordentlich vielversprechend ist, und daß
wir bislang nur den Anfang der Entwicklung gesehen haben.
Eine große Anzahl Forschergruppen verwendet jetzt
das "Raster-Tunnel-Mikroskop" in verschiedenen
Wissenschaftsbereichen. Das Studium von Flächen ist
ein wichtiger Teil der Physik mit spezieller Anwendung in
der Halbleiterphysik und der Mikroelektronik. Auch in der
Chemie spielen Oberflächenreaktionen eine wichtige
Rolle, beispielsweise im Zusammenhang mit Katalysen. Es
ist auch möglich, auf einer Oberfläche
organische Moleküle festzustellen und deren Struktur
zu studieren. Mit dieser Technik hat man u.a.
DNA-Moleküle untersucht.