MAX VON LAUE wirkte in Frankfurt am Main vom
Herbst 1914 bis zum Frühjahr 1919. Damit hatte die
neugegründete Frankfurter Johann Wolfgang
Goethe-Universität auf ihren Lehrstuhl für
Theoretische Physik als ersten Inhaber einen Physiker
berufen, der zu den ganz großen Wissenschaftlern
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zählt.
Der Werdegang bis zur Entdeckung der
Kristallstruktur
MAX (THEODOR FELIX) LAUE wurde am 9. Oktober 1879 in
Pfaffendorf am Koblenz gegenüberliegenden Rheinufer
geboren. Der Geburtsort tut wenig zur Sache, denn LAUEs
Vater war ein hoher Zivilbeamter der kaiserlichen
Militärverwaltung, der häufig versetzt wurde.
Wichtig ist eher die dem Sohne vermittelte Familien-
tradition der im besten Sinne preußisch
protestantischen Tugenden: Strenge ge- gen sich selbst,
Lauterkeit und Aufrichtigkeit des Denkens sowie
Bescheidenheit, die LAUE in seinem ganzen Leben
begleiteten, und die ihm in schwierigen persönlichen
und politischen Situationen den Weg wiesen. Für
seine Verdienste wurde LAUEs Vater 1913 in den erblichen
Adelsstand erhoben, und von da an trug auch der Sohn
dieses Prädikat.
LAUE besuchte Gymnasien in Posen, Berlin und
Straßburg. Entscheidenden Einfluß auf seine
Bildung und seinen Charakter hatte die Zeit als
Schüler des humanistischen Protestantischen
Gymnasiums in Straßburg, das er von Sekunda bis zum
Abitur besuchte. Ausführlich geht er in seiner
Selbstdarstellung "Mein physikalischer Werdegang" auf das
hervorragende Lehrerkollegium dieser Schule ein, nicht
nur auf den Lehrer für Mathematik und Physik, dem er
Entscheidendes verdankte, sondern auch auf die Lehrer
für Religion, Deutsch und die alten Sprachen, denn
"der Werdegang als Physiker... läßt sich von
der allgemeinen Entwicklung gar nicht trennen, am
wenigsten in jenen Jahren, da der Knabe zum Jüngling
wird und die Grundlagen für seine gesamte
spätere Ausreifung entstehen". Hier liegen die
Wurzeln zu LAUEs hervorragender Kenntnis der antiken und
deutschen Geistesgeschichte und zu seinen späteren
eminenten Beiträgen zur Geschichte der Physik und
zur Lebensgeschichte großer Physiker. Wie LAUE
weiter erwähnt, gingen aus dieser hervorragenden
Schule, neben anderen bedeutenden Hochschullehrern, auch
die späteren Frankfurter Physiker ERWIN MADELUNG und
MARIANUS CZERNY hervor.
Die ersten beiden Semester verbrachte LAUE an der
Straßburger Universität, anfänglich
parallel zum Militärdienst, der wenige Tage nach der
Reifeprüfung begann. Trotz seiner preußischen
Erziehung konnte sich LAUE mit den strikten Formen des
militärischen Wesens niemals abfinden, und er
empfand die allgemeine Dienstpflicht in Friedenszeit als
"unberechtigten Eingriff des Staates in die
persönliche Freiheit und als Vergeudung wertvoller
Entwicklungszeit". Bei aller Strenge und Selbstdisziplin
besaß LAUE einen zarten und verwundbaren Charakter,
und eine durch den Militärdienst hervorgerufene
schwere Erkrankung, die ihm zeitlebens zu schaffen
machte, führte schließlich auf seinen Antrag
hin zur Entlassung des Reserveoffiziers aus dem Dienst.
LAUE hatte, wie es damals üblich war, sich in den
ersten Semestern nicht nur in der Physik, sondern in
allen naturwissenschaftlichen Fächern und der
Mathematik umgesehen aber sich noch nicht auf eine
Wissenschaft festgelegt. Nach zwei Semestern wechselte er
zur Universität Göttingen und dort, unter dem
Einfluß von WOLDEMAR VOIGT, erkannte er seine
Bestimmung: Theoretische Physik. Erstaunlich ist,
daß VOIGT, den wir heute als den Begründer der
Kristallphysik ansehen, davon in seinen Vorlesungen
nichts brachte, so daß LAUE später, als er das
Staatsexamen für das höhere Lehramt in
Göttingen ablegte, in der Mineralogieprüfung
praktisch durchfiel. Nur seine hervorragenden
Chemiekenntnisse retteten schließlich die
Prüfung. Daß LAUE dann später mit seiner
Entdeckung der Röntgenstrahlinterferenzen die
Existenz der kristallinen Raumgitter bewies, zeigt,
daß Detailwissen keineswegs notwendig ist, um eine
grundlegende Idee zu realisieren. Er selbst meint, diese
"Unbeschwertheit mit Wissen" sei ihm vielleicht eher
hilfreich gewesen.
Nach zwei Semestern in Göttingen, einem
Zwischensemester in München, das aber im
wesentlichen dem Studium des winterlichen Hochgebirges
gewidmet war, siedelte LAUE im Sommer 1902 nach Berlin
über und besuchte dort sogleich MAX PLANCKs
Vorlesung über theoretische Optik. Nebenher
hörte LAUE bei LUMMER auch die experimentelle
Vorlesung über Interferenzerscheinungen, und dies
ist insofern von Bedeutung, als er, wie er es selbst
sagt, sich dort den "optischen Instinkt" holte, der ihm
später so nützlich wurde. Bis zu seiner
großen Entdeckung im Jahr 1912 hatte sich LAUE dann
nie mehr mit der eigentlichen Optik beschäftigt!
Noch am Ende des ersten Berliner Semesters bat LAUE
PLANCK um das Thema für eine Dissertation. Ein Jahr
später, im Sommer 1903, wurde er "magna cum laude"
mit einer Arbeit über die Theorie der
Interferenzerscheinungen an planparallelen Platten
promoviert. Auch nach der Promotion hatte LAUE nicht das
Gefühl, bereits genug Wissen aufgenommen zu haben,
und so ging er nochmals für vier Semester nach
Göttingen. Dabei legte er "nur nebenbei", wie er
vermerkt, das bereits erwähnte Staatsexamen ab. Zum
Herbst 1905 bot PLANCK seine freiwerdende
Assistentenstelle LAUE an, woraus drei für dessen
weiteren Weg entscheidende Jahre wurden. Als erstes
Resultat dieses engen wissenschaftlichen Kontakts
entstanden zwei Arbeiten über die Thermodynamik von
Interferenzerscheinungen und die Entropie partiell
kohärenter Strahlenbündel, die ihrer Zeit weit
vorauseilten und zunächst in ihrer Bedeutung kaum
erkannt wurden. LAUE berichtet, daß er sich nach
der darüber entscheidenden Besprechung mit PLANCK
und dem Verlassen von PLANCKs Haus in Grunewald nach
einer Stunde unversehens am Zoologischen Garten
wiederfand, ohne zu wissen wie er dorthin geraten war.
"So überwältigend war dieses Erlebnis". Erst in
der Quantenoptik unserer Tage kamen LAUEs damalige
Ergebnisse zum Tragen und wurden von GLAUBER auf
quantentheoretische Basis gestellt, ohne freilich
physikalisch wesentlich Neues hinzuzufügen. LAUE
selbst hatte die Bedeutung seiner frühen Arbeiten
sehr wohl erkannt, und zu seinem 50jährigen
Doktorjubiläum trug er in Berlin darüber vor.
Der Verfasser erinnert sich gut des tiefen Eindrucks, den
LAUEs Ausführungen durch ihre mathematische Eleganz
und die klare Handhabung von BOLTZMANNs Entropiekonzept
auf alle Zuhörer ausübten, obwohl die
Quantenoptik damals noch nicht ihren Siegeszug angetreten
hatte.
Das zweite große Ereignis aus dieser Zeit war
LAUEs Bekanntschaft mit der im gleichen Jahr publizierten
speziellen Relativitätstheorie ALBERT EINSTEINs. Die
erste Kenntnis davon erhielt LAUE durch ein Referat
PLANCKs im physikalischen Kolloquium. Wie andere auch,
begegnete LAUE den neuartigen Vorstellungen von Raum und
Zeit mit Skepsis. Nicht umsonst hatte er sich in seinen
philosophischen Studien mit KANT auseinandergesetzt, und
dessen Auffassung von Raum und Zeit als a priori
Gegebenes wirkte mächtig fort. Die Wende kam,
nachdem LAUE EINSTEIN 1906 in der Schweiz zu Diskussionen
aufsuchte, und als er 1907 zeigen konnte, daß der
FRESNELsche Mitführungskoeffizient, ein bis dato
angeblich unwiderleglicher Beweis der
Äther-Hypothese, sich als natürliche Folge des
EINSTEINschen Additionstheorems der Geschwindigkeiten
herausstellte. Es folgten in kurzen Abständen sieben
weitere Arbeiten zur speziellen Relativität. LAUE,
einem guten Kenner der LORENTZschen Elektronentheorie und
der HERTZschen Elektrodynamik, machte es Spaß, die
zahlreichen Experimente zur Elektrodynamik bewegter
Körper, die die älteren Theorien nicht oder nur
mit großem Aufwand beschreiben konnten, als logisch
zwingendes Ergebnis des speziellen
Relativitätsprinzips zu erklären. Er verhalf
damit EINSTEINs Theorie bei Fachkollegen, die gewillt
waren, mathematische Deduktionen zu akzeptieren (und das
waren beileibe leider nicht alle!), zum endgültigen
Durchbruch.
LAUE, der sich bereits 1906 in Berlin habilitiert
hatte, habilitierte sich 1909 an die Universität
München um, wo SOMMERFELD seine berühmte Schule
der Theoretischen Physik aufbaute. Hier erreichte ihn die
Anfrage des Verlags VIEWEG & SOHN, ob er bereit sei,
eine Monographie über die Relativitätstheorie
zu schreiben. So entstand 1911 die erste zusammenfassende
Darstellung "Das Relativitätsprinzip", der ab 1923
ein zweiter Band über die allgemeine
Relativitätstheorie folgte, und die als eines der
Standardwerke des Gegenstands bis 1965 insgesamt sieben
Auflagen erlebte. Dieses Buch ist in seiner Klarheit und
überzeugenden physikalischen Argumentation auch
heute noch lesenswert, wenn auch die vielen
unabhängigen Beweise nun nicht mehr notwendig
erscheinen, um von der Richtigkeit des
Relativitätsprinzips zu überzeugen. LAUE
schrieb die erste Auflage in einem Bootshaus am
Starnberger See, und man merkt dem Werk die
glückliche Ruhe des ersten Atemholens nach einer
Serie von Originalarbeiten und erster wissenschaftlicher
Anerkennung an. LAUE selbst vermerkt: "So gut habe ich es
nie wieder getroffen".
In München kam LAUE bald mit einer ganz anderen
Physik in Berührung. SOMMERFELD interessierte sich
damals für die Theorie der Röntgenstrahlen, die
er auf dem Boden der Wellentheorie verfolgte. Dies war zu
jener Zeit keineswegs unumstritten ; WILLIAM HENRY BRAGG
in England und andere vertraten die
Korpuskularauffassung. Zudem lebte in München,
fußend auf Arbeiten LEONHARD SOHNKES, die
Raumgitterhypothese für den Kristallaufbau fort.
LAUE war damit beschäftigt, auf die Bitte
SOMMERFELDs hin den Artikel über Wellenoptik
für Band 5 der Enzyklopädie der Mathematischen
Wissenschaften zu schreiben. In dieser Atmosphäre
kam PETER PAUL EWALD, Doktorand bei SOMMERFELD, im
Februar 1912 ratsuchend zu LAUE, da er mit dem Problem
des Verhaltens von Lichtwellen in einer raumperiodischen
Anordnung polarisierbarer Atome nicht zurecht kam. Diese
Unterredung brachte LAUE auf die Idee, daß
kürzere Wellen, nämlich Röntgenstrahlen,
in Kristallen Beugungsphänomene hervorrufen
müßten. LAUE folgte hierbei seinem "optischen
Gefühl", die quantitative Ausführung dieser
Idee folgte viel später. Aber dies war die
gedankliche Geburtsstunde der Entdeckung der
Röntgenstrahlinterferenzen! Über diese
Entdeckung und ihr Zustandekommen ist viel
Unterschiedliches geschrieben worden, darunter auch
gelegentlich wenig Schmeichelhaftes für LAUE. Ihm
wiederfuhr hier etwas, das ihn auch anderswo gelegentlich
traf: Mit seiner Unbestechlichkeit und seinen hohen
wissenschaftlichen Maßstäben war er oft ein
unbequemer und unnachgiebiger Partner für seine
Mitmenschen. Diese rächten sich dann gelegentlich
durch Mißgunst. LAUE wurde von solchem Verhalten
tiefer verletzt als er es sich anmerken ließ, und
er geriet zeitweise in tiefe Depressionen, aus denen er
sich nur mühsam befreite.
In der Schilderung des weiteren Ablaufs der
Münchner Ereignisse folgen wir EWALD ("MAX VON LAUE,
Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society"),
der als unmittelbar Beteiligter wohl als der
verläßlichste Zeitzeuge gelten kann. LAUE
hielt seine Idee keineswegs geheim, sondern diskutierte
sie sowohl mit SOMMERFELD als auch in der berühmten
Runde junger Physiker, die sich täglich im Cafe Lutz
traf. Aber weder SOMMERFELD noch die Runde waren
überzeugt: Die Temperaturbewegung der Atome
würde wohl die vermuteten Interferenzen hoffnungslos
zerstören. Auch WIEN und MIE, mit denen sich
SOMMERFELD zum Schilaufen traf, verwarfen die Idee. Nur
LAUE insistierte weiter, und so erklärte sich
schließlich WALTHER FRIEDRICH, der als Schüler
RÖNTGENs SOMMERFELDs experimenteller Assistent
wurde, zu dem Experiment bereit. Allerdings stimmte
SOMMERFELD nicht zu. Erst als ein weiterer Doktorand
RÖNTGENs, PAUL KNIPPING, seine Mithilfe anbot, wagte
FRIEDRICH den Aufbau einer ersten, noch primitiven
Apparatur. Das erste Ergebnis war negativ. Aber KNIPPING
bestand auf einer anderen Aufstellung der Photoplatte,
und nun zeigte die Durchstrahlungsaufnahme des
Kupfersulfats einen Kranz abgebeugter Spektren um den
direkten Strahl herum. LAUE schreibt dazu: "Tief in
Gedanken ging ich durch die Leopoldstraße nach
Haus, als mir FRIEDRICH die Aufnahme gezeigt hatte. Und
schon nahe meiner Wohnung... kam mir der Gedanke für
die mathematische Theorie der Erscheinung". Die dreifache
Anwendung der einfachen Beugungsbedingung des
eindimensionalen Gitters erklärte die neue
Entdeckung.
Nach diesem ersten Erfolg war auch SOMMERFELD
überzeugt und unterstützte die weiteren,
verbesserten Experimente. SOMMERFELID teilte die
Resultate der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am
8. Juni 1912 mit, und LAUE referierte am 14. Juni auf der
Sitzung der Physikalischen Gesellschaft in Berlin. PLANCK
berichtet 25 Jahre später über jene
denkwürdige Sitzung: "Als Herr v. LAUE nach der
theoretischen Einleitung die erste Aufnahme zeigte, die
den Durchgang eines Strahlenbündels durch ein
ziemlich willkürlich orientiertes Stück von
triklinem Kupfervitriol darstellte - man sah auf der
photographischen Platte neben der zentralen
Durchstoßungsstelle der Primärstrahlen ein
paar kleine sonderbare Flecken -, da schauten die
Zuhörer gespannt und erwartungsvoll, aber doch wohl
nicht ganz überzeugt auf das Lichtbild an der Tafel.
Aber als nun jene Figur 5 sichtbar wurde, das erste
typische LAUEdiagramm, welches die Strahlung durch einen
genau zur Richtung der Primärstrahlung orientierten
Kristall regulärer Zinkblende wiedergab mit ihren
regelmäßig und sauber in verschiedenen
Abständen vom Zentrum angeordneten
Interferenzpunkten, da ging ein allgemeines "ah" durch
die Versammlung. Ein jeder von uns fühlte, daß
hier eine große Tat vollbracht war".
Die Nachricht von der fundamentalen Entdeckung
verbreitete sich schnell in der wissenschaftlichen Welt.
Bereits 1913 begründeten WILLIAM HENRY BRAGG und
sein Sohn WILLIAM LAWRENCE in London die für die
Erforschung der Festkörper so entscheidende
Kristallstrukturanalyse, während MANNE SIEGBAHN und
Mitarbei ter in Stockholm die
Röntgenstrahlspektroskopie entwickelten. LAUE
hingegen beteiligte sich an diesen weiteren Schritten
kaum, er war völlig zufrieden als er sah, daß
seine physikalischen Vorstellungen sich als richtig
erwiesen. In seinen Worten: "Diesen Schritt, der im
wesentlichen auf die Durchforschung einzelner
Kristallstrukturen hinauslief, hätte ich kaum tun
können. Mich interessieren auf allen Gebieten der
Physik vor allem die großen, allgemeinen Prinzipien
deshalb hatten mich auch PLANCKs Vorlesungen, welche
gerade diese betonten, so sehr angesprochen, und die
prinzipiellen Fragen nach der Natur der
Röntgenstrahlen einerseits, der Kristalle
andererseits, waren durch die Versuche von FRIEDRICH und
KNIPPING wohl entschieden". LAUE hatte ja die
Erklärung der Interferenzen mit der Wellentheorie
für die Röntgenstrahlen gegeben und damit
dieses Bild bestätigt. Heute freilich wissen wir,
daß auch Korpuskularstrahlen (d. h. Strahlen von
Teilchen endlicher Ruhemasse) nach der Quantenmechanik
die gleiche Interferenzstruktur zeigen, und LAUE selbst
hat sich dieser Erkenntnis später in seiner
Monographie "Materiewellen und ihre Interferenzen"
ausführlich gewidmet.
Die Anerkennung für LAUEs Entdeckung kam rasch:
Bereits im Sommer 1912 folgte er einem Ruf auf ein
Extraordinariat der Universität Zürich, zwei
Jahre später erreichte ihn die Berufung nach
Frankfurt am Main. Im gleichen Jahr, 1914, wurde LAUE der
Nobelpreis für Physik zuerkannt, eine für
damalige Ver hältnisse erstaunlich prompte
Würdigung, die die Bedeutung und unmittelbare
Evidenz der Entdeckung nochmals unterstreicht.
Die Frankfurter Zeit: 1914-1919
Als die neugegründete Stiftungsuniversität
Frankfurt am Main zum Wintersemester 1914 ihren
Lehrbetrieb begann, konnte sich die erste
naturwissenschaftliche Fakultät an einer deutschen
Universität auf die traditionsreichen
"naturforschenden Institute" stützen, deren leitende
Persönlichkeiten zum überwiegenden Teil die
Professoren der neuen Fakultät wurden. Nur zwei
Lehrstühle mußten mit auswärtigen
Wissenschaftlern besetzt werden, nämlich der
für Mineralogie und der für Theoretische
Physik. Das Kapital für Letzteren, damals durchaus
noch keine Selbstverständlichkeit im Spektrum
physikalischer Fächer, hatte der rührige
Frankfurter Oberbürgermeister ADICKES, der die
Gründung der Johann Wolfgang Goethe-Universität
zu seiner eigenen Sache machte, angeblich von dem
Diamantenhändler OPPENHEIM dadurch erhalten,
daß er dessen Frau bei einem festlichen Diner zu
Tisch geleitete. Auf diesen Lehrstuhl berief man aus
Zürich den 34jährigen MAX VON LAUE.
Wir wissen heute nicht mehr, was die Frankfurter
Fakultät zu ihrer Entscheidung bewog, denn die
physikalische Forschung der Senckenbergischen Institute
war nicht speziell auf die Kristallphysik ausgerichtet.
Vielleicht gab ARTUR SCHOENFLIES, Inhaber des
mathematischen Lehrstuhls, den Ausschlag, dem wir die
Abzählung aller 230 möglichen geometrischen
Raumgruppen verdanken, und der in LAUEs Entdeckung eine
Anwendung seiner überlegungen sehen konnte.
Vielleicht aber auch war es LAUEs entschiedenes Eintreten
für EINSTEINs Relativitätstheorie, in dem die
Frankfurter Universitätsgründer einen
fortschrittlichen, dem Neuen in der Physik
aufgeschlossenen Geist erkannten. Wie dem auch sei, die
Berufung bewies Selbstbewußtsein und
vorausschauendes Gespür, denn noch im Jahr des
Amtsantritts in Frankfurt am Main erhielt LAUE wie
erwähnt den Nobelpreis für Physik. Selbst
für etablierte Universitäten war es keine
Selbstverständlichkeit, zwei Nobelpreisträger,
nämlich wie hier MAX VON LAUE in der
Naturwissenschaftlichen und PAUL EHRLICH in der
Medizinischen Fakultät, zu ihrem Lehrkörper zu
zählen!
MAX VON LAUE wirkte viereinhalb Jahre, vom 1. Oktober
1914 bis zum 31. März 1919, an der Frankfurter
Johann Wolfgang Goethe-Universität. In keinem seiner
Rückblicke auf sein Leben hat er jemals diese Zeit
sonderlich erwähnt. Den einzigen hinweis findet man
bei der Erwähnung des in Mineralogie verpatzten
Staatsexamens, wo LAUE sagt, daß er in seinen
Frankfurter Jahren diese Lücke einigermaßen
ausfüllte. Auch in den ausgedehnten Gesprächen,
die der Verfasser dieser Zeilen mit seinem Lehrer
führte, kam die Frankfurter Zeit nie vor. Nur einmal
bemerkte Frau VON LAUE mir gegenüber, wie sehr sie
sich beide über den Ruf nach Frankfurt am Main
freuten, da ihr Mann in Zürich mit dem Schweizer
Dialekt nicht zurechtkam und ihr der Föhn arg
zusetzte. Aber in Wahrheit war wohl der Blick LAUEs auf
Berlin gerichtet, nicht auf die Stadt, wie er selbst
sagt, sondern auf die Universität, die er als seine
eigentliche geistige heimat ansah. Der Kontakt zu seinen
physikalischen Freunden dort und die tägliche
wissenschaftliche Kommunikation waren ihm wichtig. LAUE
lebte wie kaum ein anderer durch sie, und er lebte mit
ihr auf. In Diskussionen, die durch die frappante
Schnelligkeit seines Denkens und die Freude am Kreuzen
intellektueller Klingen geprägt waren, vergaß
er Zeit und Tageszeit.
In Frankfurt am Main ergaben sich solche
Diskussionsmöglichkeiten für den einzigen
Vertreter der Relativitätstheorie und der
Kristalloptik nur spärlich. Dort mußte LAUE
sich anderen Aufgaben zuwenden. Es galt, den Unterricht
in Theoretischer Physik zu organisieren und einen
Vorlesungszyklus in diesem Fach aufzubauen, Aufgaben,
denen sich zu der Zeit erst ganz wenige große
Lehrmeister der Theoretischen Physik, LAUEs Lehrer PLANCK
in Berlin und ARNOLD SOMMERFELD in München etwa,
unterzogen hatten. Aber die Vermittlung von Wissen durch
Vorlesungen lag LAUE nicht, darin seinem bewunderten
Freund ALBERT EINSTEIN verwandt. Sein rasches Denken lief
der natürlichen Geschwindigkeit der Sprache stets
davon, was seine Rede oft hastig und undeutlich werden
ließ. Hinzu kamen eine ziemlich unleserliche
Schrift und eine entsprechende Tafeltechnik, so daß
LAUEs Vorlesungen stets nur wenige Hörer anzogen.
Allerdings, diejenigen die aushielten wurden mit seiner
bewundernswerten Klarheit der Gedankenführung, der
Begeisterung für die Sache und dem hervorragenden
Aufbau der Darstellung belohnt. Dies kam natürlich
in Spezialvorlesungen besser zur Geltung als im
großen Theoriezyklus.
So wurde die Frankfurter Vorlesungstätigkeit
für LAUE eher zu einer Qual, und er suchte sich ihr
so weit wie möglich zu entziehen. Die erste
Gelegenheit dazu ergab sich 1916 durch eine Anfrage der
Universität Wien, ob er bereit sei, den dortigen
Lehrstuhl für Physik zu übernehmen. LAUE
verband dies mit der Forderung, für seinen Verbleib
in Frankfurt am Main eine außerordentliche
Professur für Theoretische Physik als Entlastung
für die Lehre einzurichten. hier nun zeigte sich die
Stärke der Stiftungsuniversität, denn mitten im
Krieg, als der Staat zu keinerlei Zuschüssen bereit
war, fanden Rektor und Vorsitzender des Kuratoriums in
RICHARD FLEISCHER, einem wohlhabenden Wiesbadener
Kaufmann, einen Gönner, der sich erbot, 5000 Mark
pro Jahr für eine zusätzliche Professur zu
stiften, falls es dadurch möglich sein würde,
MAX VON LAUE in Frankfurt zu halten. Aber die Sache
verlief im Sande, die Wiener Verhandlungen zerschlugen
sich offensichtlich vor der Erteilung eines offiziellen
Rufes.
Bald ersparte jedoch eine andere Entwicklung LAUE das
Abhalten von Vorlesun gen. In seiner Frankfurter Zeit
begann er sich für die Wirkungsweise von
Verstärkerröhren zu interessieren, einem damals
spannenden und von vielen Theoretikern aufgegriffenen
Gebiet, in dem Elektronentheorie, Elektrodynamik und
Thermodynamik ineinandergreifen. WILHELM WIEN in
Würzburg hatte auf empirischem Wege Verbesserungen
des Steuermechanismus entwickelt, und so begann LAUE 1916
eine Zusammenarbeit mit WIENS Würzburger Institut.
Da diese Arbeiten zudem als militärisch wichtig
angesehen wurden (obwohl LAUE seine Ergebnisse noch
während des Krieges veröffentlichte), wurde er
von den Vorlesungen entbunden und bezog zeitweise sogar
eine Wohnung in Würzburg. Und 1917 schließlich
kam der erste Schritt zurück nach Berlin, in die
"geistige Hei- mat": Dort war das Kaiser-Wilhelm-Institut
für Physik gegründet worden, mit ALBERT
EINSTEIN als Direktor und MAX VON LAUE als seinem
Stellvertreter.
Die endgültige übersiedelung nach Berlin
konnte jetzt nur noch eine Frage der Zeit sein, und LAUE
löste sie auf ebenso originelle wie wohl einmalige
Weise in der deutschen Universitätsgeschichte: In
Berlin lehrte neben MAX PLANCK als Extraordinarius
für Theoretische Physik MAX BORN. Dieser, ein
begeisterter akademischer Lehrer, litt darunter,
daß die große Theorievorlesung die
Domäne PLANCKs blieb, und er sich mit
Spezialvorlesungen begnügen mußte. Von LAUE
wissen wir, wie gerne er die Vorlesungsverpflichtungen
los sein würde. Also schlugen beide, die sich aus
gemeinsamer Göttinger Studienzeit kannten und
schätzten, ihren Fakultäten und dem Ministerium
für Kunst und Volksbildung in Berlin 1918 vor, ihre
Lehrstühle zu tauschen, wobei freilich das Berliner
Extraordinariat in ein persönliches Ordinariat
umgewandelt werden mußte. Der hohe
wissenschaftliche Rang beider fast gleichaltrigen
Männer führte schließlich bei allen
Beteiligten zur Zustimmung, und zum 1. April 1919 wurde
MAX VON LAUE als ordentlicher Professor in die
Philosophische Fakultät der Universität zu
Berlin und MAX BORN in gleicher Eigenschaft in die
Naturwissenschaftliche Fakultät der Johann Wolfgang
Goethe-Universität Frankfurt versetzt.
LAUEs Zeit als erster Inhaber des Theorielehrstuhls in
Frankfurt am Main war damit zu Ende, und sie war, was die
akademische Lehre angeht, für beide Seiten sicher
nicht die glücklichste. Aber in der Wissenschaft
kommt es auf den geistigen Maßstab an, der durch
eine Persönlichkeit gesetzt wird. Und hier hat MAX
VON LAUE durch die Klarheit seines Denkens, die
Lauterkeit seines Charakters und die Wärme seiner
mitmenschlichen Beziehungen der jungen Frankfurter
Fakultät gewiß höchste
Maßstäbe vermittelt. Noch im letzten Jahr
seines Wirkens verlieh die Johann Wolfgang
Goethe-Universität auf Anregung LAUEs dem
Schöpfer der Quantenhypothese, MAX PLANCK, aus
Anlaß von dessen 60. Geburtstag am 23. April 1918
die Würde eines "Dr. philosophiae naturalis honoris
causa". MAX VON LAUE hatte Laudatio und Ehrendiplom
entworfen und seinem Lehrer in Berlin
überreicht.
Max von Laue in Berlin
Mit der Übersiedelung nach Berlin konnte LAUE
sich verstärkt seiner Aufgabe am Kaiser Wilhelm
Institut widmen. Er bezog mit seiner Familie ein
schönes Haus in Zehlendorf, in dem es viel
Geselligkeit gab, und in dem sich Frau MAGDA VON LAUE als
ebenso liebenswürdige wie perfekte Gastgeberin
erwies. EINSTEIN kümmerte sich nicht sehr um die
Verwaltung des Instituts, dies fiel LAUE zu. Das
"Institutsgebäude" war EINSTEINs Privatwohnung, aber
es gab einen Etat von 75000 Reichsmark, mit dem
physikalische Forschung an bestehenden Instituten
unterstützt werden konnte. So bekamen EINSTEIN und
LAUE großen Einfluß auf die Förderung
der Physik in Deutschland. Zu den Geförderten
gehörten unter anderen der Astronom ERWIN
FREUNDLICH, der sich der empirischen
überprüfung der allgemeinen
Relativitätstheorie widmete, sowie PETER DEBYE, MAX
BORN und PASCUAL JORDAN. Das Kaiser-Wilhelm-Institut
für Physik wurde so zum Vorbild für die 1920
auf Anregung von FRIEDRICH SCHMIDT-OTT gegründete
"Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft", der
heutigen "Deutschen Forschungsgemeinschaft".
LAUEs Berliner Ordinariat brachte ihm nicht viele
Vorlesungsverpflichtungen ein. Seine Lehraufgaben versah
er vorwiegend in Spezialvorlesungen, Seminaren und mit
der Anleitung zu selbständigen wissenschaftlichen
Arbeiten. Aber auch in der Universität setzte er
einen Akzent, dessen Bedeutung bald über die Grenzen
Berlins hinausreichte. Er organisierte das physikalische
Mittwochskolloquium, das bald "LAUE-Kolloquium"
hieß, und in dem es nicht nur eine hohe Ehre war,
vortragen zu dürfen, sondern ebenso eine harte
Feuerprobe, vor LAUEs scharfem Intellekt und den anderen
Diskussionsrednern der ersten Reihen, darunter meist
viele Nobelpreisträger, bestehen zu können.
Zu LAUEs Forschungsinteressen, die sich bisher
zwischen Relativitätstheorie, Röntgenoptik und
Thermodynamik aufteilten, trat in Berlin ein weiteres
Gebiet hinzu. LAUE wurde nicht nur in die
Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen,
er war auch Berater der Physikalisch-Technischen
Reichsanstalt in Berlin-Charlottenburg. Hier traf er
WALTHER MEISSNER, der sich mit Phänomenen der
Supraleitung beschäftigte. LAUE konnte 1932 die
Abhängigkeit des kritischen Magnetfeldes von der
Geometrie der Probe erklären und damit einen
Anstoß zur Entdeckung des MEISSNER-Effekts der
Feldverdrängung geben. Ein Schüler LAUEs, FRITZ
LONDON und dessen Bruder HEINZ entwickelten daraufhin
ihre phänomenologische Theorie der Supraleitung, an
deren Entstehung LAUE regen Anteil nahm. Besonder
befriedigte es ihn, daß der supraleitende Zustand
nach dem Ergebnis des MEISSNER-Effekts als Phase im Sinne
der Thermodynamik aufgefaßt werden konnte. Zwischen
1937 und 1947 entstanden zwölf Arbeiten LAUEs
über Supraleitung und ein weiteres Lehrbuch,
"Theorie der Supraleitung", das die
phänomenologische Theorie einschließlich einer
aufgrund einer Anregung von HEISENBERG und KOPPE
entwickelten nichtlinearen Erweiterung enthält.
ALBERT EINSTEIN und MAX VON LAUE waren schon in LAUEs
Züricher Zeit enge Freunde geworden. Beide
schätzten sich ungemein, trotz ihres
unterschiedlichen menschlichen und wissenschaftlichen
Naturells. LAUE bewunderte in EINSTEIN den großen
Schöpfer fundamentaler physikalischer Theorien, und
EINSTEIN war beeindruckt von LAUEs Klarheit des Denkens
und seiner Virtuosität in der Handhabung
mathematischer Techniken. Zum ersten Lauediagramm
gratulierte EINSTEIN : "Ihr Experiment gehört zum
Schönsten, was die Physik erlebt hat". Später
sagten beide "Du" zueinander. Beide verband auch die
Skepsis gegenüber der neuen Quantenmechanik, die
allerdings bei EINSTEIN viel tiefer saß,
während LAUE von den Materiewellen fasziniert und
bereit war, dafür einen Preis zu zahlen. Bei dieser
engen Bindung mußte es LAUE besonders treffen, als,
beginnend um 1920, die Angriffe auf EINSTEIN mit
eindeutig antisemitischer Tendenz einsetzten und an
Stärke, Hand in Hand mit dem Vordringen des
Nationalsozialismus, zunah men. EINSTEIN wehrte sich
kaum, ihm war das Niveau der Argumentation zu niedrig,
aber er sah Schlimmes für Deutschland heraufziehen.
LAUE kämpfte, um wenigstens den Einfluß von
STARK und LENARD, die mit ihrem Gewicht als
Nobelpreisträger in der antisemitischen Kampagne
mitmachten, einzudämmen. Dies gelang auch, beide
blieben in der physikalischen Gemeinschaft weitgehend
isoliert, selbst dann noch, als sie nach der
"Machtergreifung" mit starker offizieller
Unterstützung ihre "Deutsche Physik" propagierten.
EINSTEIN lockerte seit 1932 systematisch seine Bindung an
Berlin. Den 30. Januar 1933 erlebte er in Kalifornien, in
Gesprächen mit MILLIKAN über den Aufbau des
Institute for Advanced Studies in Princeton. Im Oktober
1933 verließ EINSTEIN endgültig Europa, um nie
mehr dorthin zurückzukehren.
Die so einmalige Situation der Physik im Berlin der
zwanziger Jahre verschlechterte sich mit Hitlers
"Machtergreifung" schlagartig: Die Wissenschaft verlor
ihre Freiheit. Viele jüdische Physiker mußten
Deutschland verlassen oder verloren, wie LISE MEITNER,
ihre Stellung in der Universität. Zum Glück
konnte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit ihrer
privatrechtlichen Organisation sich dem Zugriff der Nazis
weitgehend entziehen und bot Männern wie PLANCK,
LAUE und OTTO HAHN Gelegenheit, etwas für ihre
verfolgten Kollegen zu tun. Bereits 1930 waren LAUE und
LADENBURG nach USA gereist, um mit der Rockefeller
Foundation über eine Neuausstattung des
Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik zu verhandeln.
JAMES FRANCK sollte der Direktor der experimentellen,
LAUE der der theoretischen Abteilung werden. PLANCK
erreichte, daß die Stiftung auch nach 1933 ihren
Zuschuß nicht zurückzog. Aber FRANCK hatte
Deutschland inzwischen verlassen müssen, und so
wurde PETER DEBYE 1936 Direktor und LAUE sein
Stellvertreter.
LAUE behielt seine Institutsstellung bei, da er sich
unter der Obhut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft den
Angriffen der Nazis und seiner Widersacher STARK und
LENARD eher gewachsen sah als in seiner Position als
Universitätsprofessor. Tatsächlich wurde der
mehrfach vom Reichskultusministerium Zurechtgewiesene
auch zum 1. Oktober 1943 vorzeitig emeritiert. Man hat
LAUE oft gefragt, warum er nicht emigriert sei. Sein
Ansehen in der Welt hätte ihm leicht eine Stellung
außerhalb Deutschlands verschafft. Er
äußert zu dieser Frage: "... daß ich
keine der spärlichen im Ausland für die
Emigranten verfügbaren Stellen einem Kollegen
wegnehmen sollte, der sie nötiger brauchte. Vor
allem wollte ich aber sogleich zur Stelle sein, wenn nach
dem von mir vorausgesehenen und erhofften Zusammenbruch
des "Dritten Reiches" sich die Möglichkeit zu einem
kulturellen Wiederaufbau auf den Ruinen bot, die dieses
Reich schuf". So blieb er in den dunklen Tagen auf seinem
Posten. Dem Freund EINSTEIN schrieb er: "Seit dem
Fortgehen von hier ist mir Berlin zum großen Teil
verödet, trotz PLANCK und manchem anderen.' Aber
LAUE blieb unbeugsam. Seine hervorragende Bildung
erlaubte es ihm, in historischen Gleichnissen, die von
jedem Sehenden verstanden wurden, die Verfolgungspolitik
der Nazis anzuprangern. Bekannt unter Physikern sind
seine Rede als Vorsitzender der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft auf denm Physikertag in Würzburg im
September 1933, in der er EINSTEIN verteidigte mit dem
berühmten Ausruf "Und sie bewegt sich doch", und der
Nachruf auf FRITZ HABER 1934, den er mit Themistokles
verglich. Nicht viele Physiker, die in Deutschland
geblieben waren, schlossen sich den "Deutschen Physikern"
STARK und LENARD an, aber die meisten gingen,
insbesondere wenn es um die Anwendung der
Relativitätstheorie ging, Kompromisse ein. Nicht so
LAUE. In seinen Vorlesungen nannte er weiter EINSTEIN als
den Schöpfer der Theorie, und noch 1943 publizierte
er die Arbeit "Ein relativistischer Beweis für das
Wiensche Verschiebungsgesetz". EINSTEIN erkannte LAUEs
Haltung. 1934 schrieb er ihm: "Lieber alter Kamerad! Wie
hab ich mich mit jeder Nachricht von Dir auch über
Dich gefreut. Ich hab nämlich immer gefühlt und
gewußt, daß Du nicht nur ein Kopf, sondern
auch ein Kerl bist."
LAUE erlebte den von ihm herbeigesehnten Zusammenbruch
des "Dritten Reiches" in Hechingen, wohin das
Kaiser-Wilhelm Institut für Physik 1944 verlagert
wurde. Die deutschen Kernphysiker, wozu sich LAUE nun
ganz unverdient rechnen mußte, wurden sistiert, um
im Landhaus "Farmhall" in England ein Dreivierteljahr in
strenger Abgeschiedenheit zu verbringen. Bevor LAUE von
seinem Kollegen GOUDSMIT (dem wir, mit UHLENBECK
zusammen, die Entdeckung des Elektronenspins verdanken)
in Gewahrsam genommen werden konnte, mußte sich
dieser aber noch eine der entwaffnenden LAUEschen
Lachsalven und die Bemerkung "GOUDSMIT, was haben Sie
denn mit Ihnen gemacht?" gefallen lassen. GOUDSMIT war
nämlich mit einem viel zu großen Stahlhelm auf
dem Kopf in LAUEs Wohnung erschienen.
Anfang 1946 fanden sich die meisten der
Farmhall-Insassen in Göttingen wieder, wo unter den
schwierigen Nachkriegsverhältnissen die Reste des
Kaiser-Wilhelm Instituts für Physik in der
ehemaligen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt
untergebracht wurden. LAUE war wieder, neben HEISENBERG
als Direktor, dessen Stellvertreter und Honorarprofessor
der Universität. Er lebte damals, auch nach
Gründung der Max-Planck-Gesellschaft, in einer
bescheidenen Dienstwohnung mit einem mehr als
bescheidenen Salär, das ihm, dem begeisterten
Autofahrer, dessen berühmter "Steyr'" 1940 von den
Nazis beschlagnahmt worden war, nicht einmal den Kauf
eines eigenen Wagens gestattete. Dies war kein besonderes
Ruhmesblatt für die junge Max-Planck Gesellschaft!
Aber LAUE war zu stolz, um an solchen Gegebenheiten zu
rütteln. Statt dessen arbeitete er tatkräftig
am "kulturellen Wiederaufbau auf den Ruinen'. Die
Wiedergründung der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft, zunächst in der "Britischen Zone",
dann später in der Bundesrepublik und die
Wiedergründung der Physikalisch-Technischen
Bundesanstalt in Braunschweig sind wesentlich sein
Werk.
Zu Ende des Jahres 1950, im 72. Lebensjahr, erreichte
LAUE die Berufung als Direktor des Instituts für
physikalische Chemie und Elektrochemie der damaligen
Forschungshochschule Dahlem, die die ehemaligen Kaiser
Wilhelm-Institute in Berlin, so auch das ehemals von
HABER gegründete, zusammenfaßte. Dieses
Angebot erfüllte LAUE aus mehreren Gründen mit
großer Genugtuung. Nun kehrte er abermals nach
Berlin zurück, und er sah seine Mission, in der nun
geteilten Stadt am Wiederaufbau des wissenschaftlichen
Lebens mitzuwirken. Seine Einstellung charakterisiert
vielleicht am besten die Antwort, die er mir gab, als er
mir anbot als sein Doktorand mitzugehen, und ich
anfänglich zögerte: "Wenn Berlin ruft, sagt man
nicht nein."
In Berlin entwickelte LAUE in den letzten neun Jahren
seines Lebens eine geradezu bewundernswerte
Aktivität. Nicht nur, daß er tatkräftig
die Eingliederung der Berliner Institute in die
Max-Planck Gesellschaft betrieb, wobei er darauf bestand,
"seinem" Institut den Namen "Fritz Haber-Institut" zu
geben, er benutzte auch sein hohes Ansehen dazu,
erhebliche Geldmittel für das Institut zu erhalten,
so daß zwei neue Abteilungen (BORRMANN, HOSEMANN)
eingerichtet werden konnten. Obwohl er in den
InstItutsangelegenheiten von seinem zuverlässigen
Verwaltungsassistenten DIETRICH SCHMIDT-OTT, dem Sohn des
Gründers der "Notgemeinschaft", nach Kräften
unterstützt wurde, gab er doch keine dieser Auf
gaben wirklich aus der Hand. Nur LAUEs Selbstdisziplin
und seinem leidenschaftlichen Interesse an physikalischen
Fragestellungen ist es zu verdanken, daß er neben
all diesem in den letzten Berliner Jahren nochmals einen
Höhepunkt seiner wissenschaftlichen
Produktivität erlebte. Mit dem Verfasser führte
er schon in Göttingen begonnene Arbeiten zur
Supraleitungstheorie, insbesondere zur Rolle der
Oberflächenenergie an der Grenze Supra-Normalleiter
fort, die nahe an die Charakterisierung der späteren
Typ II-Supraleiter reichten. Mit seinem wieder ans Haber
Institut geholten Mitarbeiter aus früherer Zeit,
GERHARD BORRMANN, wandte er die von ihm in den 30er
Jahren vervollständigte dynamische Theorie der
Röntgenstrahlinterferenzen auf die anomale
Absorption (BORRMANN-Effekt) an. Schließlich
besorgte er völlige Neubearbeitungen seiner beiden
Hauptwerke, der zweibändigen
"Relativitätstheorie" und der
"Röntgenstrahlinterferenzen".
Hinzu kamen die Reisen. LAUE reiste viel und gern und
mit Vorliebe mit dem Auto. Dabei entspannte er sich, und
man kam ihm im persönlichen, vertrauten
Gespräch dann sehr viel näher als das im
Institut oder bei wissenschaftlichen Diskussionen der
Fall war. Oft übernahm er für weite Strecken
selbst das Steuer, und er freute sich über ein
gelungenes Überholmanöver ebenso wie über
eine rasante Serpentinenfahrt. Er war auch noch im Alter
ein guter Autofahrer; sein rasches Reaktionsvermögen
kam ihm dabei zugute. Fuhr er nicht selbst, so hatte er
die Generalkarte auf den Knien und suchte geographisch
oder historisch interessante Ziele abseits der
Hauptstraßen, die dann besucht wurden. LAUE liebte
die Natur ungemein, und nicht selten rief er laut aus:
"Wie schön ist es hier!" Beim Ausblick von einer
Bergspitze oder einem Aussichtsturm wetteiferte er mit
sei nen Begleitern, wer einen bekannten Gipfel oder einen
Kirchturm zuerst entdeckte. Meist blieb er mit seinem
gewaltigen Zeiss-Glas Sieger.
1959 übergab LAUE das Fritz Haber-Institut seinem
Nachfolger. Das bereits er wähnte Leiden machte sich
jetzt stärker bemerkbar, und bei einem Besuch sagte
er mir, er sei jetzt müde geworden, und er
könne der Physik nicht mehr so folgen wie er es
wolle. Ein großer Schlag für ihn war der Tod
seines Freundes ALBERT EINSTEIN 1955. "Der Mann ist
dahingegangen, sein Werk lebt" wurde das Motto der
letzten von LAUE besorgten Auflage seiner
"Relativitätstheorie". Auch LAUEs Lebenswerk war
vollendet. Aber am 9. Oktober 1959 fand in Dahlem die
Feier seines 80. Geburtstags statt. Es wurde ein
großes Fest mit vielen Gratulanten, und LAUE war
gerührt von so viel menschlicher Wärme und
Anteilnahme. Am meisten freute ihn die Verleihung der
Helmholtz-Medaille durch die Ostberliner Akademie der
Wissenschaften und die Anwesenheit der Freunde OTTO HAHN
und LISE MEITNER.
Am 8. April 1960 fuhr LAUE allein mit dem
Institutsauto zu einer Besprechung in das von ihm mit ins
Leben gerufene Hahn-Meitner-Institut nach Wannsee. Auf
der Avus wurde er in einen nicht mehr rekonstruierbaren
Unfall verwickelt und mit schweren Kopfverletzungen ins
Krankenhaus gebracht. Dort verstarb er am 24. April 1960.
Er ruht in der Nähe von PLANCK, NERNST und anderen
auf dem Göttinger Friedhof.
MAX VON LAUE erfuhr viele Ehrungen, und er hat in
seiner Bescheidenheit nie viel Aufhebens davon gemacht.
Aber auf zwei Auszeichnungen war er besonders stolz: Im
Juli 1946, kurz nach dem verlorenen Krieg, wurde er als
einziger Deutscher zur Kristallographentagung nach London
eingeladen. Bei dem Festbankett hielt der Vorsitzende
eine Tischrede auf LAUE, in der er ganz besonders seine
Haltung während der Hitlerzeit würdigte. Und
1948 verlieh die Universität von Chicago LAUE die
Ehrendoktorwürde "as physicist and resolute champion
of freedom".
Quelle: Friedrich Beck, Darmstadt